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Zwei harte Knoten: Todes- und Gerichtsangst im Hebräerbrief*
Published online by Cambridge University Press: 10 March 2009
Abstract
Hebrews 2.14–15 goes beyond the epistle's cultic symbolism and embeds its image of Christ in a poly-mythic framework, thereby illuminating its existential relevance. Faith enables the believer to see through death in order to cope with fear of death. The author does not reflect explicitly on anxiety about death but integrates it into the Christ drama, thus inspiring his addressees to transform their conceptualization of self and purpose (‘terror management’). Arousing eschatological fear of judgment (6.4–8; 10.26–31; 12.16–17) forms part of the deliberative rhetorical strategy. Immediately subsequent to the warnings, the addressees are guided to the opposite emotion of hope. To postulate a theological perpetuum (exclusion of ‘second repentance’) on the basis of a pathetic temporale would be to miss the emotion-centred guidance of the hearer, the rhetorical truth game, and the pragmatic intention of Hebrews.
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- Copyright © Cambridge University Press 2009
References
1 Eliot, T. S., The Waste Land (I, Z.30) in Collected Poems 1909–1962 (London: Faber and Faber, 2002)Google Scholar.
2 Epiktet führt im Traktat Πϵρὶ ἀφοβίας die Γαλιλαῖοι als Beispiel für die Freiheit von Todesangst an, die sich aber statt Vernunftgründen lediglich der Gewohnheit (ἔθος) verdanke (Diatr. 4.7.6). In der ersten paganen Beschreibung urchristlichen Gemeindelebens stellt Lukian von Samosata satirisch die Todesverachtung der Gläubigen heraus, schreibt sie aber deren Unbedarftheit zu (Peregr. 13).
3 Vorrhede auff die Epistel zu den Ebreern, 1522 (WA. Deutsche Bibel 7) 344. Ich ergänze das Knoten-Bild um die Todesangst, die Luther vor allem in seinem Sermon von der Bereitung zum Sterben, 1519 (WA. Werke 2) bes. 686–9, angstpsychologisch höchst sensibel, als Terrorinstrument des Teufels ausmalt.
4 Vgl. H. Balz u. G. Wanke, ‘φοβέω κτλ’, TWNT 9 (1973) 189 (Balz).
5 Obschon das φόβος-Motiv nach Textgut und Wirkpotential das Makrogefüge des Hebr kennzeichnet, ist es monographisch nur von Patrick Gray untersucht worden: Godly Fear: The Epistle to the Hebrews and Greco-Roman Critiques of Superstition (Academia Biblica 16; Atlanta: SBL, 2003).
6 Der enge syntaktische Anschluss von V. 16, die fehlende Nennung des Subjekts und der semantische Gehalt von ἐπιλαμβάνομαι lassen die Möglichkeit zu, die Sequenz auszudehnen: „Denn doch wohl nicht die Engel ergreift die Todesangst, sondern die Nachkommenschaft Abrahams ergreift sie“; so Gudorf, M. E., ‘Through a Classical Lens: Hebrews 2:16’, JBL 119 (2000) 105–8Google Scholar; zur Diskussion Gray, Fear, 115–7. Das kontextuell vorherrschende Interesse an der Beziehung zwischen Jesus und dem Gottesvolk und die in VV. 14–17 stringente Subjektlinie lassen mich an der herkömmlichen Subjektbestimmung (Jesus) festhalten.
7 Von den vier finiten Vollverben kommen drei—κοινωνέω, καταργέω, ἀπαλλάσσω—in Hebr nicht mehr vor, ferner das Adverb παραπλησίως, das Adjektiv ἔνοχος sowie die Nomina κράτος, διάβολος, δουλϵία und φόβος. Abgesehen vom ersten Verb und letzten Nomen fehlen auch anwendungsverwandte Derivate. Die Wendung διὰ παντὸς τοῦ ζῆν im Sinne der Lebensspanne ist neben der theozentrischen, christologischen und soteriologischen Akzentuierung des Wortfelds „Leben“ in Hebr singulär.
8 Das hindert viele Ausleger nicht daran, unseren Passus sühne- und erhöhungschristologisch zu erklären. Gray, Fear, 111–38, verfolgt die Entmachtung der Todesangst durch die gesamte Christologie und Gemeinde-Ethik des Hebr. Dies ist insofern legitim, als der Vf. nicht in Versblöcken, sondern kontextuell denkt, doch bleibt im Makrotext das hier angelegte Motivreservoir eben ungenutzt, und diese Redundanz ist erklärungsbedürftig. Auf recht sublime Weise zeigt sich die Verlegenheit, unsere Verse kreuzestheologisch einzuholen, im Versuch von T. E. Schmidt, die T-Assonanz in V. 14b als Hinweis auf die den Tod besiegende Macht des Kreuzes zu lesen: ‘The Letter Tau as the Cross: Ornament and Content in Hebrews 2,14’, Bib 76 (1995) 75–84.
9 Vgl. z.B. 1QM I 10–15; As. Mos. 10.1; T. Jud. 25.3; Offb 20.2–3, 10, 13–14. Von der Vernichtung (καταργέω) des Todes handeln ausdrücklich 1 Kor 15.26; 2 Tim 1.10; Barn. 5.6, von der des Antichrist 2 Thess 2.8–9 (vgl. Barn. 15.5). Dass der Teufel durch Angst herrscht und durch den Kyrios entmachtet wird, betont der Hirt des Hermas: Mand. VII 2; XII 4.6–7; 5.2; 6.1. Eine traditionsgeschichtliche Beziehung von 2.10–18 zum himmlischen Krieger-Priester in 11QMelch sieht Aschim, A., ‘Melchizedek and Jesus: 11QMelchizedek and the Epistle to the Hebrews’, The Jewish Roots of Christological Monotheism: Papers from the St. Andrews Conference on the Historical Origins of the Worship of Jesus (ed. Newman, C. C. et al. ; JSJSup 63; Leiden: Brill, 1999) 140–3Google Scholar. Gegen den oft hergestellten Bezug zum gnostizistischen Erlösungsmodell sprechen, abgesehen von der Quellenchronologie, die Betonung von Fleischwerdung und Leiden; vgl. Attridge, H. W., The Epistle to the Hebrews (Hermeneia; Philadelphia: Fortress, 1989) 81–2Google Scholar.
10 In der fortschreibenden Rezeption von Gen 3 verführt der Teufel den Menschen und unterwirft ihn so dem Tod, weil er ihn als Rivalen fürchtet und um dessen von Gott gewährte Schöpfungsstellung beneidet (L.A.E. 10–16; Apoc. Mos. 16–19; 2 En. 30.11–12; 31.1–6; Apoc. Sedr. 4.4–5.2; vgl. Weish 2.24); dazu Gäbel, G., Die Kulttheologie des Hebräerbriefes: Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Studie (WUNT II/212; Tübingen: Mohr Siebeck, 2006) 134–44Google Scholar.
11 Zu Epiktet vgl. noch Diatr. 1.1.26–32; 1.17.25; 1.27.7–10; 2.18.27–30; 3.5.7–11; 3.24.95–102; 4.7.15–17; 4.7.25–32; zu Seneca bes. Ep. 24; 30; zur Todesangst bei Plutarch Gray, Fear, 95–8. In semantischer Opposition zum Wortfeld δουλϵία dominiert im philosophischen Diskurs der Stamm ϵλϵυθ-. Der existentiellen Bestandsaufnahme zu vergleichen ist in der frühjüdischen Weisheit Sir 40.1–11; 41.1–4.
12 Ovid Metam. 9.241; Seneca Ben. 1.13.3; Statius Silvae 4.6.32–109; Dio Chrysostomus 1 Regn. (Or. 1) 59–65, 84. Selbst für Philo, hierin stoisch inspiriert, dient Herakles als Prototyp für die „Freiheit des Tüchtigen“ (vgl. Prob. 98–105). Den mythographischen Befund in späthellenistisch-frühreichsrömischer Zeit tragen Diodorus Siculus Bibl. 4.8–39 und Apollodori Bibl. 2.4.8–2.7.7 zusammen.
13 Vgl. insgesamt Fink, J., ‘Herakles—Held und Heiland’, Antike und Abendland 9 (1960) 73–87Google Scholar; Malherbe, A. J., ‘Herakles’, RAC 14 (1988) 559–83Google Scholar; Aune, D. E., ‘Heracles and Christ: Heracles Imagery in the Christology of Early Christianity’, Greeks, Romans, and Christians: FS A.J. Malherbe (ed. Balch, D. L. et al. ; Minneapolis: Fortress, 1990) 3–19Google Scholar.
14 Vgl. Aune, ‘Heracles’, 15–16.
15 Vgl. Attridge, Hebr, 79–82, 93–4; Ders., ‘Liberating Death's Captives: Reconsideration of an Early Christian Myth’, Gnosticism and the Early Christian World (ed. J. E. Goehring et al.; Sonoma, CA: Polebridge, 1990), bes. 108–15; Barth, G., Der Tod Jesu Christi im Verständnis des Neuen Testaments (Neukirchen–Vluyn: Neukirchener, 1992) 90–5Google Scholar; Löhr, H., ‘Wahrnehmung und Bedeutung des Todes Jesu nach dem Hebräerbrief: Ein Versuch’, Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament (ed. Frey, J. u. Schröter, J.; WUNT 181; Tübingen: Mohr Siebeck, 2005) 466–7Google Scholar. Die einflussreichste Fassung in der altkirchlichen Literatur bietet Ev. Nic. 20–23 (4–7): Satan und der verängstigte Hades bemühen sich vergeblich, die Pforten der Unterwelt gegen den machtvoll einziehenden Auferstandenen zu verteidigen; schließlich nimmt Hades den gefesselten Satan selbst in Gewahrsam.
16 Auch 13.20 lässt sich trotz der ungewöhnlichen Formulierung (ὁ ἀναγαγὼν ἐκ νϵκρῶν) nicht für eine veritable Descensus-Vorstellung geltend machen. Vielmehr wird hier das ἀρχηγός-Motiv durch das des Hirten variiert und das „Hinaufführen“, das heißt: die Erhöhung, Jesu mit der Vollendung der „Schafe“ verbunden (vgl. 2.10). Wie auch sonst in Hebr geht es also um den „Aufstieg“ von der irdisch-menschlichen Lebenswelt in die göttliche Sphäre. Zur Diskussion vgl. Loader, W. R. G., Sohn und Hoherpriester: Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zur Christologie des Hebräerbriefes (WMANT 53; Neukirchen–Vluyn: Neukirchener, 1981) 49–54Google Scholar; Weiß, H.-F., Der Brief an die Hebräer (KEK 13; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1991) 753–6CrossRefGoogle Scholar.
17 Domitian berief sich bevorzugt auf Minerva und Jupiter Custos; seine Identifizierung mit Hercules unter dem Aspekt seines Übertritts in die Götterwelt schließt das nicht aus. Zu den wiederkehrenden adulatorischen Motiven bei Martial gehört das von Domitian als dem größeren Hercules: Der Prinzeps steigt in dem von ihm gestifteten Hercules-Tempel an der Via Appia in dessen Gestalt und wird vom kleineren (mythischen!) Hercules verehrt: Herculis in magni voltus descendere Caesar dignatus…maiorem Alciden nunc minor ipse colit (Epigr. 9.64.1–2, 6; vgl. 9.3.11–12). Die Gesichtszüge Domitians auf der Hercules-Plastik erweisen den göttlichen Ursprung des Hercules (Epigr. 9.65). Im Bild des kleineren Alciden verehren wir den größeren, Domitian (Epigr. 9.101). Wie sehr sich Martial als Sprachrohr des Zeitgeists begriff, dokumentiert nach der Wende von 96 n. Chr. Epigr. 10.72. Andere Herrscher legten Gewicht auf andere Züge im anpassungsfähigen Hercules-Bild: Philo fühlt sich durch die entsprechende heroische Aufmachung Caligulas abgestoßen (vgl. Legat. 78–81); auch Nero und bes. Commodus inszenieren eine eher populäre Heldenvariante. Unter Trajan wird Hercules Symbol herrscherlicher Tugend und Pflichtenstrenge, Domitian dagegen zu einem neuen Eurystheus (vgl. Plinius d.J., Pan. 14.5).
18 Der Eindruck ist oft ein anderer: Hebr „lays great weight on one analogy for the death of Christ, putting almost all of his eggs, so to speak, in the cultic basket, and attempting to wring out of this one image more than the image will coherently yield“, so Wedderburn, A. J. M., ‘Sawing Off the Branches: Theologizing Dangerously Ad Hebraeos’, JTS 56 (2005) 413–14CrossRefGoogle Scholar. Zur Pluralität der Wahrnehmungen des Todes Jesu in Hebr vgl. dagegen Löhr, ‘Wahrnehmung’, bes. 474–6.
19 Zur Auslegung Vanhoye, A., Situation du Christ: Hébreux 1–2 (LD 58; Paris: Cerf, 1969) 255–387Google Scholar; Gräßer, E., ‘Die Heilsbedeutung des Todes Jesu in Hebräer 2,14–18’ (1979), Aufbruch und Verheißung: Gesammelte Aufsätze zum Hebräerbrief (ed. Evang, M. u. Merk, O.; BZNW 65; Berlin: de Gruyter, 1992) 181–200Google Scholar; Bell, R. H., Deliver Us from Evil: Interpreting the Redemption from the Power of Satan in New Testament Theology (WUNT 216; Tübingen: Mohr Siebeck, 2007) 292–318Google Scholar.
20 Dass Jesus den Tod in aller Bitterkeit durchleidet, lässt sich zunächst kaum als Gnadenerweis verstehen. So ist der Finalsatz von einzelnen Auslegern konjektural getilgt worden. 0243. 1739* vgms; OrmssAmbr Hiermss Fulg lesen (statt χάριτι θϵοῦ) χωρὶς θϵοῦ; bei der so entstehenden Aussage denken einige Kommentatoren an die Gottverlassenheit des Kreuzestods (vgl. Mk 15.34 par.). Aber gerade das paradoxale Gegenüber von Tod und Gnade, verstanden als die Bahn ebnender Hinzutritt (vgl. V. 10) in die göttliche Wirklichkeit, birgt die Pointe. Es fällt schwer, diese provozierende Pointe nachzuvollziehen. Gerade deshalb dürfen wir die Lesart für ursprünglich halten. Zur Diskussion Gräßer, E., An die Hebräer I–III (EKKNT 17; Zürich/Neukirchen–Vluyn: Benziger/Neukirchener, 1990–97) I, 124–6Google Scholar; Weiß, Hebr, 200–202; Koester, C. R., Hebrews (AB 36; New York: Doubleday, 2001) 217–18Google Scholar.
21 V. 10: πολλοὶ υἱοί; V. 11–12, 17: ἀδϵλφοί (ter); V. 13–14: παιδία (bis); V. 16: σπέρμα ᾿Aβραάμ. Der religionsgeschichtliche Hintergrund der Wendung kann angesichts der kontextuellen Denotation „Familiengemeinschaft“ vernachlässigt werden: Handelt es sich um einen Genetiv Neutrum, ist an ein Seinsprinzip, wohl Blut und Fleisch (V. 14), zu denken, nicht an die Präexistenz der Seelen, die in Hebr nirgends in ihre Heimat zurückkehren. Bei einem Maskulinum ist kaum der Schöpfer gemeint, der in Hebr transzendent bleibt. Adam ist eine näherliegende Möglichkeit, kommt aber in Hebr sonst nicht vor. Eher wird an die (ethnisch entgrenzte) Herkunft des Gottesvolks von Abraham (vgl. V. 16) zu denken sein (vgl. Philo Gig. 63–64). Zur Diskussion Weiß, Hebr, 212–14; Ellingworth, P., The Epistle to the Hebrews (NIGTC; Grand Rapids/Carlisle: Eerdmans/Paternoster, 1992) 164–5Google Scholar; Koester, Hebr, 229–30; Swetnam, J., ‘᾿Eξ ἑνός in Hebrews 2,11’, Bib 88 (2007) 517–25Google Scholar.
22 2.17–18 ist die erste jener soteriologischen Kernthesen, in denen Hebr seinen Entwurf hörerfreundlich vergegenwärtigt (vgl. 4.14–16; 8.1; 10.19–22). Nach dem für ihn kennzeichnenden Gliederungsverfahren kündigt er ein Leitthema zunächst an, nimmt den so gesetzten Spannungsbogen zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf (4.14–16) und leitet damit zur eingehenden Interpretationsarbeit über (5.1–10.18).
23 Jesus betet dann etwa um die Auferweckung, oder er ist „aus seiner Angst heraus“ (ἀπὸ τῆς ϵὐλαβϵίας) erhört und von ihr befreit worden, oder er betet für seine Jünger, die Feinde usw. In einer entschlossenen Konjektur hat sich von Harnack, A., ‘Zwei alte dogmatische Korrekturen im Hebräerbrief ’, Studien zur Geschichte des Neuen Testaments und der alten Kirche (Arbeiten zur Kirchengeschichte 19; Berlin: de Gruyter, 1931) 245–52CrossRefGoogle Scholar, des Problems durch die Interpolation eines οὐκ entledigt: Wenn Christus, obschon er Sohn war, nicht erhört wurde, um wie viel weniger dürfen dies dann die Christen erwarten; zustimmend Bultmann, R., ‘ϵὐλαβής κτλ’, TWNT 2 (1935) 750–1Google Scholar.
24 Tränen: Ps 6.7; 38.13LXX (39.13); 41.4LXX (42.4); 55.9LXX (56.9). Schreien: Ps 17.7LXX (18.7); 101.2LXX (102.2); 114.1LXX (116.1); 141.2LXX (142.2). Erhörung: Ps 6.9; 21.6, 25LXX (22.6, 25); 30.23LXX (31.23); 68.34LXX (69.34); 114.1LXX (116.1). Rettung aus Tod: Ps 9.14; 32.19LXX (33.19); 55.14LXX (56.14); 114.8LXX (116.8).
25 Zu ϵὐλάβϵια als Haltung angemessener Gottesscheu vgl. ausführlich Gray, Fear, 187–214.
26 Lexikalisch nach Bauer/Aland (61988) ad voc.: „sich aneignen weniger durch Belehrung als durch Erleben, Erfahren oder Gewöhnung, Übung“ (995). Die Parechese ἔμαθϵν ἀφ' ὧν ἔπαθϵν ist vielzitierte Erfahrungsregel und wird von Philo religiös geweitet: Durch Leiden lernen wir Gott allein zu gehören (vgl. Somn. 2.105–108).
27 Zur Auslegung vgl. Roloff, J., ‘Der mitleidende Hohepriester: Zur Frage nach der Bedeutung des irdischen Jesus für die Christologie des Hebräerbriefes’ (1975), Exegetische Verantwortung in der Kirche: Aufsätze (ed. Karrer, M.; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1990) 149–59Google Scholar; Bachmann, M., ‘Hohepriesterliches Leiden: Beobachtungen zu Hebr 5,1–10’, ZNW 78 (1987) 244–66CrossRefGoogle Scholar; Gräßer, Hebr I, 293–308; Weiß, Hebr, 310–20; Karrer, M., Der Brief an die Hebräer I–II (ÖTK 20; Gütersloh/Würzburg: Gütersloher Verlagshaus/Echter, 2002/2008) I, 271–6Google Scholar.
28 Die Taufkatechese des Hebr setzt die Auferstehung der Toten voraus (6.2), von der traditionssprachlich auch in der digressio die Rede ist (11.19, 35; vgl. 11.5). 13.20 variiert das Erhöhungsmotiv. Die Auferstehung Christi wird in Hebr insgesamt von der Erhöhung her betrachtet; im engeren Sinn österliche Motive (Osterzeugen, Auferweckung am dritten Tag, leeres Grab usw.) treten nicht in den Blick. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Hebr die Ostertradition nahezu „modern“ reinterpretiert: Die Auferstehung findet im Kreuzestod als Moment der Erhöhung selbst statt. Doch stößt die Argumentation e silentio an methodische Grenzen.
29 Vgl. Braun, H., An die Hebräer (HNT 14; Tübingen: Mohr Siebeck, 1984) 147Google Scholar.
30 Im Ansatz kennt Plutarch eine vergleichbare Strategie: Er glaubt nicht, dass der Mensch der Todesangst ausweichen könne, sondern plädiert dafür, die innerweltliche Perspektive angstlindernd auf das Ewige hin zu weiten (Suav. viv. 1104B–1107C; vgl. Cons. Apoll. 120D–121E). Zur Ewigkeitsoption des Hebr vgl. auch Übelacker, W., ‘Die Alternative Leben oder Tod in der Konzeption des Hebräerbriefs’, Lebendige Hoffnung—ewiger Tod?! Jenseitsvorstellungen im Hellenismus, Judentum und Christentum (ed. Labahn, M. u. Lang, M.; Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 24; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2007) 235–63Google Scholar.
31 Die Wendung ἔκβασις τῆς ἀναστροφῆς dürfte sich am ehesten auf den Lebensertrag unter Einschluss eines standfesten Todes, möglicherweise ein Verfolgungsschicksal, beziehen; zur Auslegung Weiß, Hebr, 712–14; Koester, Hebr, 559, 566–7.
32 Vgl. Bulley, A. D., ‘Death and Rhetoric in the Hebrews “Hymn to Faith”’, SR 25 (1996) 413–17Google Scholar; Eisenbaum, P. M., The Jewish Heroes of Christian History: Hebrews 11 in Literary Context (SBLDS 156; Atlanta: SBL, 1997) 178–80Google Scholar. Zur Bedeutung des exemplum mortis in der griechisch-römischen Rhetorik Vogel, M., Commentatio mortis: 2 Kor 5,1–10 auf dem Hintergrund antiker ars moriendi (FRLANT 214; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006) bes. 74–83CrossRefGoogle Scholar.
33 Die auffällige Wendung mag an Gen 4.10LXX anknüpfen, wo allerdings βοᾷ statt λαλϵῖ steht, zumal auch in 12.24 nicht das Blut, sondern Abel selbst spricht: Der Glaube Abels ist durch den Tod nicht verstummt und bezeugt die unsichtbare Wirklichkeit; zur Auslegung Attridge, Hebr, 317; Gräßer, Hebr III, 112; Koester, Hebr, 481–2.
34 Der Bezug auf Christus (vgl. Ps 88.50–51LXX), dessen Passion Hebr adressatenorientiert gerade unter dem Gesichtspunkt des Ehrverlustes (ὀνϵιδισμός) deutet (vgl. 10.33; 13.13), dürfte als Analogie gemeint sein. Zur Diskussion vgl. Gräßer, Hebr III, 170–2; deSilva, D. A., Perseverance in Gratitude: A Socio-Rhetorical Commentary on the Epistle “to the Hebrews” (Grand Rapids: Eerdmans, 2000) 412–13Google Scholar.
35 Dazu gehören die chronologischen Aporien: Wann wird Jesus Hohepriester? Welchen Status gewinnt er durch die Erhöhung, den er nicht schon vorher besaß (vgl. dazu den Exkurs bei Braun, Hebr, 32–3)? Die Symbolik des Heiligtums wird je nach Gesichtspunkt unterschiedlich entfaltet: unter Betonung der ontischen Bipolarität von Himmel (Allerheiligstes) und Erde (Vorzelt), ohne Zweiteilung als Kultsymbol des Himmels überhaupt, unter verheißungsgeschichtlichem Aspekt von erstem und neuem Gottesbund, anthropologisch in der Spannung von Fleisch und Gewissen (vgl. Koester, Hebr, 97–104, 393–406). Wie verhalten sich Passagen, die Naherwartung forcieren (vgl. 10.25, 37), zu solchen, die ein postmortal-jenseitiges Gericht voraussetzen (vgl. 9.27; 12.23; 13.14)? Die oft betonte Einsicht, dass die Paränese eher von der Parusie her denkt, die lehrhaften Ausführungen eher von der vertikalen Typologie, stellt keine Lösung, sondern den Verzicht auf eine solche dar. Dass Harmonisierungsbemühungen nicht greifen, betont Wedderburn, ‘Sawing Off the Branches’, freilich mit dem Fazit: „The fault of the auctor ad Hebraeos is not so much his incoherence as his failure to perceive that he has been incoherent and that he indeed must be incoherent, given the nature of that which he sets out to describe“ (413)—gerade die offenkundigen Inkonsistenzen in dieser multiplen Eschatologie legen aus meiner Sicht nahe, dass der Auctor ad Hebraeos der von Wedderburn kritisierten Fehleinschätzung keineswegs unterliegt.
36 Als Analogie ist Plutarch zu nennen: Oft wird ein Widerspruch zwischen dem aufklärerischen Traktat De superstitione (bes. 166F–167A; vgl. Suav. viv. 1104A–C) und den Schreckensbildern ewiger Strafen in De sera numinis vindicta (566E–567E) festgestellt; das moderne Bedürfnis nach Sachkonsistenz führt bis zu Authentie-Zweifeln. Das Problem relativiert sich, achtet man auf die Funktion der jeweiligen Aussage. Die abergläubische Jenseitsangst wird theologisch kritisiert; die eschatologischen Mythen ästhetisieren und pädagogisieren—wohl gezielt übergrell—den Gerechtigkeitstopos. Vgl. näher Klauck, H.-J., ‘Plutarch von Chaironeia über Aberglaube, Dämonenfurcht und göttliche Vergeltung’, Alte Welt und neuer Glaube: Beiträge zur Religionsgeschichte, Forschungsgeschichte und Theologie des Neuen Testaments (NTOA 29; Freiburg i.Ue./Göttingen: Universitätsverlag/Vandenhoeck & Ruprecht, 1994) bes. 63–6, 73–6CrossRefGoogle Scholar.
37 Das Bild ist von Peter L. Berger inspiriert, der seinerseits den Titel seines wissenssoziologischen Standardwerks von 1969 unserem Schreiben (13.2) verdankt: A Rumor of Angels: Modern Society and the Rediscovery of the Supernatural (Garden City, NY: Doubleday, 1969) 121.
38 An Knotenpunkten der Leserlenkung steht προσέρχϵσθαι: 4.16; 7.25; 10.22; 12.18, 22; vgl. 11.6. Breiter verteilt ist ϵἰσέρχϵσθαι: 3.11, 18–19; 4.1, 3, 5–6, 10–11; 6.19–20; 9.12, 24; ἐγγίζϵιν: 7.19.
39 Zu diesem auf den Kulturanthropologen Ernest Becker (1924–1974) zurückgehenden Ansatz vgl. Heine, S., Grundlagen der Religionspsychologie: Modelle und Methoden (UTB 2528; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005) 230–49Google Scholar; Theißen, G., Erleben und Verhalten der ersten Christen: Eine Psychologie des Urchristentums (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2007) 175–6Google Scholar. Was ich deskriptiv-exegetisch zur Sprache bringe, lässt sich religionspsychologisch als transformationsdynamisch fundierte Affektkontrolle beschreiben: Der Affekt der Todesangst wird dadurch gezügelt, dass sein Träger sich einem anderen Machtbereich zuordnet: Er wird—ganz im Sinn von 2.14–15—aus dem „satanischen“ Machtbereich des Todes genommen und in den des ἀρχηγός des Glaubens gestellt; vgl. zu diesem Konstrukt von Gemünden, P., ‘La culture des passions à l'époque du Nouveau Testament’, ETR 70 (1995) bes. 337–8Google Scholar.; Dies., ‘Affekte und Affektkontrolle im antiken Judentum und Urchristentum’, Erkennen und Erleben: Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums (ed. G. Theißen u. P. von Gemünden; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2007) 251, 260–1.
40 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes (GW 9) 114.
41 Tod (Themen der Theologie 8; Stuttgart: Kreuz, 3rd ed. 1973) 152.
42 In 10.26 geschieht dies mittelbar durch den Hinweis auf das nach dem Glaubensabfall nicht mehr zugängliche Sühnopfer.
43 So hat V. 29 Hebr einen zweifelhaften Ehrenplatz im Hexenhammer (ed. J. W. R. Schmidt, I, 195) gesichert.
44 Dies hindert Cicero nicht daran, bei rednerischer Gelegenheit selbst die ewigen Strafen für die Verstorbenen zu beschwören (vgl. Cat. 1.33).
45 „Scheint solcher Freimut allzu viel Schärfe zu bergen, ist sie mit vielerlei Milderungen zu lindern. Denn unmittelbar darauf mag man etwas folgender Art hinzufügen: Hier frage ich nach eurer Tüchtigkeit, wünsche sehnlich eure Weisheit, rufe eure frühere Lebensweise auf!“ (Rhet. Her. 4.37, § 49); zum Verhältnis von asperitas und lenitas auch Cicero De or. 2.53, § 212. Vgl. Nongbri, B., ‘A Touch of Condemnation in a Word of Exhortation: Apocalyptic Language and Graeco-Roman Rhetoric in Hebrews 6:4–12’, NovT 45 (2003) bes. 274–8Google Scholar. Die Abfolge von zunächst harten und dann tröstlichen Worten galt in tannaitischer Zeit als Merkmal der Synagogenpredigt und wurde auf Mose und die Propheten zurückgeführt (vgl. Sifre Dtn 342.1); dazu Stein, E., ‘Die homiletische Peroratio im Midrasch’, HUCA 8/9 (1931/32) 353Google Scholar.
46 Vgl. unter diskurstheoretischem Aspekt Snyman, A. H., ‘Hebrews 6.4–6: From a Semiotic Discourse Perspective’, Discourse Analysis and the New Testament: Approaches and Results (ed. Porter, S. E. u. Reed, J. T.; JSNTSup 170; Sheffield: Sheffield Academic, 1999) 354–68Google Scholar. deSilva, D. A., ‘Hebrews 6:4–8: A Socio-Rhetorical Investigation’, TynBul 50 (1999) 33–57, 225–35Google Scholar, betont die Reziprozitätsleistung des Gunstempfängers gegenüber dem Patron im Wertgefüge der sozialen Umwelt.
47 Das metaphorisch auf den Glaubensabfall zu beziehende exemplum des Esau als πόρνος ἢ βέβηλος ist in der aggadischen Entfaltung des Esau-Bilds verankert und beleuchtet erneut den frühjüdischen Traditionshintergrund und dessen eigenständige und situationsbezogene Aneignung in Hebr: Esau als Prototyp dessen, der die Gnade mutwillig abtut, ist zwar bereit umzukehren, doch Gott verweigert ihm die Gelegenheit (μϵτανοίας τόπος); vgl. näher Löhr, H., Umkehr und Sünde im Hebräerbrief (BZNW 73; Berlin: de Gruyter, 1994) 121–30, 155–62CrossRefGoogle Scholar. Damit handelt der ewige Richter unnachgiebiger als der menschliche, der solchen Christen, die bereit sind, sich vom Glauben loszusagen, einen paenitentiae locus einräumt (Plinius d.J. Ep. 10.96.10); Trajan entscheidet sich dafür, ihnen veniam ex paenitentia zu gewähren (Ep. 10.97.1).
48 13.5b, 6 bezieht sich unmittelbar auf die Befreiung der christlichen Minorität von Menschenfurcht, wirft aber zugleich ein Licht auf das Verständnis der in 12.28–29 beschriebenen λατρϵία für den lebendigen Gott (vgl. 9.14).
49 Vgl. zur explosiven apokalyptischen Angst und ihrer Verarbeitung im Urchristentum Theißen, Erleben, 169–76.
50 Nach dem Kompendium des Quintilian liegt die Königsaufgabe des Redners gar bei der ab ipsa veri contemplatione abducenda mens (Inst. 6.2.5; vgl. 6.2.4–6). Bezeichnend etwa: „Wenn aber der Sinn der Hörer derart schwankt und die Wahrheit so vielen Übeln ausgesetzt ist, dann muss voll Kunst gestritten und herangezogen werden, was nützlich ist! Denn wer vom geraden Wege verdrängt worden ist, den kann man nicht anders als mit einer Biegung zurückführen“ (Inst. 2.17.29)—dies gehe, zumal wenn man zu imperiti spreche, nicht ohne Einsatz des affektiven Spiels, das Wahrheit eher durchsetze als kritisch vermittle (vgl. 5.14.28–29); ferner 2.17.18–21, 26–29; 6.1.7; 12.1.33–36.
51 in iis primum est bene adfici et concipere imagines rerum et tamquam veris moveri (11.3.62). Vgl. Lampe, P., ‘Psychologische Einsichten Quintilians in der Institutio Oratoria’, Erkennen und Erleben: Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums (ed. Theißen, G. u. von Gemünden, P.; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2007) 214–15Google Scholar.
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