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Politische Sprache, Motive und Kritik im Galaterbrief: Eine Spurensuche

Published online by Cambridge University Press:  08 September 2022

Stefan Schreiber*
Affiliation:
Lehrstuhl für Neutestamentliche Wissenschaft, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Augsburg, Universitätsstraße 10, D-86159Augsburg, Germany Email: stefan.schreiber@uni-a.de
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Abstract

The article analyses the Epistle to the Galatians with regard to textual elements that can be related to language or political performances in the imperium Romanum. To this end, political interpretations in research are first presented and critically discussed: the alleged persecution in Gal 6.12; gods, elements and the calendar in Gal 4.8–10; and the νόμος as Roman law. In a second step, political models of language and thought from the Roman imperial period in the Epistle to the Galatians are considered: the ‘present evil age’ in Gal 1.4; the idea of a new world-view through the concepts of the ‘Gospel’ and the ‘Son of God’; the cross of Christ as a break from the world; the turn of the ages in Gal 4.1–7; the new community according to Gal 3.28. A conclusion summarises the resulting new world-view and its consequences.

German abstract

German abstract

Der Beitrag analysiert den Galaterbrief im Hinblick auf Textelemente, die sich auf Sprache oder politische Inszenierungen im imperium Romanum beziehen lassen. Dazu werden zunächst politische Interpretationen in der Forschung vorgestellt und kritisch diskutiert: die angebliche Verfolgung in Gal 6.12; Götter, Elemente und der Kalender in Gal 4.8–10; der νόμος als römisches Gesetz. In einem zweiten Schritt werden politische Sprach- und Denkmodelle aus der römischen Kaiserzeit im Galaterbrief aufgewiesen: die „gegenwärtige böse Weltzeit“ in Gal 1.4; die Konzeption eines neuen Weltbilds durch die Begriffe „Evangelium“ und „Sohn Gottes“; das Kreuz Christi als Bruch mit der Welt; die Zeitenwende in Gal 4.1–7; die neue Gemeinschaft nach Gal 3.28. Ein Fazit fasst das daraus resultierende neue Weltbild und seine Konsequenzen zusammen.

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Copyright © The Author(s), 2022. Published by Cambridge University Press

Auf den ersten Blick bietet sich der Galaterbrief nicht gerade an, um nach politischen Äußerungen in den Paulusbriefen zu fragen. Die römische Herrschaft wird nirgends erwähnt, und das Thema des Briefes lässt kein politisches Interesse erwarten. Der Brief legt bekanntlich den Fokus auf einen Konflikt innerhalb der jüdischen Lebenswelt: Müssen sich die Heidenchristen in Galatien beschneiden lassen, also (als Proselyten) in den Bund Gottes mit seinem Volk eintreten und Teil des Volkes Israel werden, um zu Christus, dem Messias, gehören zu können?Footnote 1 Bilder, die mit der politischen Sprache der damaligen Zeit in enger Beziehung stehen (wie der „Leib Christi“ in 1 Kor 12 und Röm 12.3–8), begegnen nicht. Muss also ein „politischer Totalausfall“ im Galaterbrief diagnostiziert werden?

Allerdings bietet immerhin ein neuer Kommentar einen Exkurs zu „Galatians and the Imperial Cult“, auch wenn seine Einschätzung zurückhaltend bleibt.Footnote 2 Ein Blick auf die ForschungFootnote 3 der letzten Jahre zeigt, dass einige Texte aus dem Galaterbrief durchaus politisch ausgelegt werden. Das trifft besonders für Gal 6.12 und 4.8–10 zu. Mit diesen Aussagen soll unsere Spurensuche beginnen.

1. Politische Auslegungen zum Galaterbrief

1.1 Die Verfolgung in Gal 6.12

In Gal 6.12 wirft Paulus seinen Kontrahenten vor:

Alle, die gefallen wollen (θέλουσιν ɛὐπροσωπῆσαι) im Fleisch, zwingen euch, die Beschneidung zu vollziehen, allein damit sie wegen des Kreuzes Christi nicht verfolgt werden (μὴ διώκωνται).Footnote 4

Bruce Winter hat 1994 vorgeschlagen, diesen Vorwurf auf dem politischen Hintergrund des römischen Kaiserkults zu verstehen.Footnote 5 Nach Winter spielt das Verb ɛὐπροσωπῆσαι auf die Rechtsverhältnisse im römischen Imperium an, wobei er von einer öffentlichen Verpflichtung zum Kaiserkult ausgeht, den die Heidenchristen in Galatien aufgegeben haben. Die Kontrahenten nötigten die Heidenchristen, als Proselyten Mitglieder der lokalen jüdischen Synagoge zu werden, um am privilegierten Rechtsstatus und Schutz der Synagogen teilzuhaben. Die Synagogen seien von den politischen Autoritäten anerkannt worden und hätten keine Akte der Kaiserverehrung vollziehen müssen. Dann bräuchten die Heidenchristen und die Konkurrenten selbst keine Verfolgung wegen Nichtteilnahme am Kaiserkult zu befürchten. Die Beschneidung dient also als Selbstschutz vor politischer Verfolgung.

Auch nach Brigitte Kahl (2005) sei ein politischer Konflikt in Galatien „durch die Weigerung der paulinischen heidnischen Gemeinden, am öffentlichen Kult teilzunehmen“, virulent geworden.Footnote 6 Damit hätten sie den Status der jüdischen Gemeinden gefährdet, „für die der Kaiser eine spezielle Ausnahmeregelung gewährt hatte, die ihnen zu bestimmten Bedingungen die Nichtteilnahme an der öffentlichen Religion zugestand“; dies sei der Grund, „weswegen Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft auf die Galater zukamen und sie drängten, sich beschneiden zu lassen (Gal 5,2–12; 6,12–3), um ihren Status zu vereindeutigen“.Footnote 7

Justin Hardin modifizierte 2008 die These von Winter, indem er aufwies, dass auch jüdische Synagogen in der Diaspora durchaus Akte der Kaiserverehrung pflegten.Footnote 8 Das Problem sieht er dann in einer Statusindifferenz der galatischen Heidenchristen. Diese ständen zwischen paganem und jüdischem Bevölkerungsteil und partizipierten so an keiner der jeweiligen Arten der Kaiserverehrung. Durch die Beschneidung würden sie sich in die jüdische Synagoge integrieren und an deren Weise der Kaiserverehrung teilhaben, was die Ambiguität ihres sozialen Status klären würde (112, 115). Durch die Beschneidung der Galater wollten die Agitatoren v. a. eine behördliche Verfolgung ihrer eigenen Person vermeiden (149–50).

Abgesehen davon, dass es in römischer Zeit keine Verpflichtung zum öffentlichen Kaiserkult gegeben hat (wie hätte sich das auch kontrollieren lassen?) und die Initiative zum Kaiserkult von der lokalen Elite, nicht von den römischen Behörden, ausging, bedarf die historische Bestimmung der „Verfolgung“ in Gal 6.12 größerer Vorsicht. Die Verfolgung, die Paulus nach Gal 5.11 erfährt (διώκομαι), führt er nicht auf römische Behörden zurück, sondern auf die innerjüdische Konfliktsituation („Beschneidung“): auf jüdische Anfeindung, Agitation und Widerstand gegenüber einem Judenchristen wie Paulus, der ein Evangelium ohne Beschneidung verkündet und damit die Unterscheidung Israels von den Heidenvölkern einebnet.Footnote 9

Es ist zumindest denkbar, dass solche Konflikte auch auf die städtische Lebenswelt übergreifen, wenn ein Verkünder wie Paulus nicht mehr eindeutig der jüdischen Synagoge zugeordnet wird und als fremder Unruhestifter erscheint. Anders als in den Bemerkungen in 1 Thess 1.6; 2.14; 3.3–5 werden im Galaterbrief Konflikte mit städtischen Mitbewohnern jedoch nicht explizit angesprochen. Auch eine Konfliktlinie zu den politischen Autoritäten der Stadt wird nicht ersichtlich.

Im Gesprächskontext von Gal 6.12 liegt es nahe, dass die „Verfolgung“, die die Konkurrenten laut Paulus vermeiden wollen, ebenfalls im innerjüdischen Kontext angesiedelt ist.

1.2 Götter, Elemente und der Kalender in Gal 4.8–10

Mit dem Kaiserkult wurde auch die Aussage in Gal 4.8–10 verbunden. Paulus erinnert die Galater an ihr früheres „religiöses“ Leben, von dem sie sich als Christus-Anhänger abgewandt haben, zu dem sie aber jetzt offenbar zurückzukehren drohen:

8 Aber damals, als ihr Gott nicht kanntet, habt ihr denen Sklavendienst geleistet, die von Natur aus keine Götter sind (τοῖς φύσɛι μὴ οὖσιν θɛοῖς). 9 Jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt, ja vielmehr von Gott erkannt wurdet, wie wendet ihr euch wieder zu den schwachen und armseligen Elementen hin (ἐπὶ τὰ ἀσθɛνῆ καὶ πτωχὰ στοιχɛῖα), denen ihr wieder von neuem Sklavendienst leisten wollt? 10 Tage beobachtet ihr genau und Monate und Zeiten und Jahre (ἡμέρας παρατηρɛῖσθɛ καὶ μῆνας καὶ καιροὺς καὶ ἐνιαυτούς).

Thomas Witulski scheidet im Jahr 2000 Gal 4.8–20 literarkritisch als spätere Interpolation aus dem Galaterbrief aus.Footnote 10 Daher könne 4.8–20 als Teil eines eigenen Paulusbriefs ein anderes Problem als der übrige Gal in den Blick nehmen, nämlich die drohende Hinwendung der Galater zum öffentlichen Kaiserkult (175, 215–6, 223). Witulski bezieht die Begrifflichkeit in Gal 4.8 („die von Natur aus keine Götter sind“) und 4.9 („Elemente“) auf die paganen Götter, die die Galater vor ihrer Hinwendung zu Christus verehrten, bzw. auf den divus Augustus, seine Nachfolger und ihre Familien, zu deren Kult sie sich jetzt hinwenden wollen (128–52). Die Aufzählung in 4.10 umschreibe den mit der Kaiserverehrung verbundenen Kultkalender (158–68); das „Umwerben“ aus 4.17 beziehe sich auf das Verhalten der Kaiserpriester, die sich in den Vordergrund stellen und gesellschaftlichen Einfluss gewinnen wollen (171–4).Footnote 11

Während Witulskis Interpolationshypothese in der Forschung kaum aufgenommen wurde,Footnote 12 wird die Aufzählung der Zeitbegriffe in Gal 4.10 häufiger als Anspielung auf den am römischen Kaiser orientierten Kalender verstanden. Der schon erwähnte Justin Hardin nimmt 2008 die Ergebnisse von Witulski auf und bezieht die Zeitbegriffe auf die öffentlichen Kaiserfeste und Gedenktage in den städtischen Kalendern, z. B. zum Geburtstag des Kaisers (und seiner Familie) oder zu bestimmten Ereignissen wie Siegen, auf die nach Kaisern benannten Monate (Julius, Augustus) bzw. das neue (julianische) Kalendersystem sowie auf mehrtägige Kaiserfeste bzw. im Fünfjahresrhythmus stattfindende Gelübde.Footnote 13 Für den Galaterbrief ergibt sich für Hardin dann eine doppelte Stoßrichtung: Die Briefadressaten hätten den Kalender des Kaiserkults übernommen „in order to alleviate their social dislocation in society“,Footnote 14 während – andererseits – einige Mitglieder der Gemeinde die Übernahme der Beschneidung ernsthaft erwogen hätten.Footnote 15

Damit entsteht allerdings ein uneinheitliches Bild der Galater, die lediglich opportunistisch die Anpassung an die Gesellschaft suchen, gleich ob durch Beschneidung oder pagane Praxis. Eine Übernahme des paganen Kaiser-Kalenders seitens der Adressaten steht gerade im Widerspruch zu ihrem Bestreben, die Beschneidung zu übernehmen und sich damit umso stärker in die jüdische Tradition zu integrieren.Footnote 16

Auf der anderen Seite hat erst kürzlich (2019) wieder Dieter Sänger den jüdischen Hintergrund der „Kalenderreihe“ in Gal 4.10 aufgewiesen, wobei er von Gen 1.14 LXX als Bezugstext ausgeht: „und sie [die Lichter am Himmel; S. S.] sollen Zeichen und Zeiten und Tage und Jahre sein“ (καὶ ἔστωσαν ɛἰς σημɛῖα καὶ ɛἰς καιροὺς καὶ ɛἰς ἡμέρας καὶ ɛἰς ἐνιαυτούς). Die „Tage“ in Gal 4.10 entsprechen dann dem Sabbat bzw. dem Yom Kippur, die „Monate“ dem Neumond, die „Jahre“ den Sabbatjahren, die „Zeiten“ den verschiedenen jüdischen Festzeiten nach Lev 23 u. a.Footnote 17 Der in der Tora entfaltete Festkalender und die Zeitstrukturen sind nach frühjüdischer Kosmologie mit dem von Gott festgesetzten Zyklus der Gestirne verbunden, der die Zeit einteilt und die von Gott gestiftete Ordnung zeigt.Footnote 18

Die Textstelle ist rhetorisch interessant, denn die inhaltliche Füllung der Zeitmaße bleibt offenbar bewusst offen. Sie können sich auf den paganen, von Festen und Ereignissen der kaiserlichen Familien geprägten Kalender der Stadt beziehen, und sie können ebenso auf den jüdischen Kalender mit seinen Festzeiten, Neumonden, Fasttagen oder Sabbaten verweisen (vgl. Röm 14.5). In seiner Polemik ordnet Paulus beide Kalenderobservanzen als „Sklavendienst“ an den „schwachen und armseligen Elementen“, den Mächten und Göttern dieser Welt ein (Gal 4.9).

Die „Elemente“ in Gal 4.3, 9 referieren auf die antike Vorstellung der vier Grundstoffe Feuer, Wasser, Erde und Luft, aus denen die ganze Welt gebildet ist und die als personifizierte Gottheiten verehrt werden konnten.Footnote 19 Paulus spielt mit dem Begriff auf die Götter und Mächte dieser Welt an, die im paganen Denken die Ordnung der Welt garantieren.

Wenn Paulus die jüdische Kalenderordnung mit der heidnischen Verehrung der „Elemente“ des Kosmos gleichsetzt, will er den Adressaten überdeutlich vor Augen führen, dass die Übernahme jüdischer Identitätsmerkmale sie letztlich in die alte Unfreiheit unter beherrschende Mächte führt.Footnote 20 Eine der Mächte der Welt ist auch der römische Kaiser, dem als divus göttliche Verehrung zuteilwird. Er zählt damit nach 4.8 zu „denen, die von Natur aus keine Götter sind“.Footnote 21 Indirekt ist darin also auch eine Kritik an der göttlichen Verehrung des Princeps zu hören.

Fraglich ist jedoch die Signifikanz dieses Bezuges. Der Kontext zeigt, dass Gal 4.8–10 einen Baustein in der Argumentation gegen die Kontrahenten, die die Beschneidung fordern, darstellt. Seine zentrale Intention ist nicht die gezielte Ablehnung der Kaiserverehrung. Bezieht man jedoch die Lebenswelt der Adressaten ein und nimmt wahr, dass der städtische Festkalender gerade mit seiner Orientierung am Kaiser das Leben der Briefadressaten prägte, wird eine indirekte Spitze gegen den Kaiser als strukturgebende Norm der Zeit hörbar. Die Wahrnehmung des Rezeptionskontextes – der Adressaten und der Exegeten – wird zur hermeneutischen Aufgabe, und es lohnt sich, die Spur der indirekten Kritik weiterzuverfolgen.

Die Bedeutung hermeneutischer Vorentscheidungen spiegelt auch die aktuelle Studie von Christina Harker (2018), die die paulinische Kritik an der Kalenderobservanz in Gal 4.10 aus einer postkolonialen Perspektive liest. Sie betont die kulturelle Kolonisation Galatiens durch Rom, die sich in wirtschaftlicher Ausbeutung (Steuern, Inbesitznahme von Land durch die Elite), der Akkulturation von Normen und Werten im MilitärdienstFootnote 22 und der Wirkung des römischen Kaiserkults auf die lokale Kultur und Aushandlung von Macht zeigt.Footnote 23 Im Zentrum ihrer Arbeit steht der Aufweis, dass moderne anti-imperiale Bibelforscher, „writing from a position of privilege in the West, repeat these discourses [sc. des Kolonialismus; S. S.] in new forms“.Footnote 24 Entsprechend dekonstruiert sie das Bild des Paulus „as a liberating figure“Footnote 25 (5) in der Forschung: „Insofar as Paul seeks to change and control groups of people through an ideology he introduces to them and then controls …, he is a colonizer in his own right“, wobei die Rhetorik des Paulus imperiale Diskurse seiner Zeit spiegele und Paulus sich selbst als höchste Autorität setze.Footnote 26 Harkers Ergebnis:Footnote 27 Die Briefadressaten hätten (positiv verstanden) ihre Handlungsfähigkeit wahrgenommen und an verschiedenen Formen der Götterverehrung und am römischen Kaiserkult teilgenommen (198–9),Footnote 28 um an der römischen Kultur partizipieren zu können und um sich zu schützen. Paulus hingegen „presents a culturally domineering voice who arrogates authority to himself and struggles to control a variegated, hybrid community“, die seine exklusivistische Botschaft nicht rezipiert hat.Footnote 29

Harkers postkoloniale Perspektive verfällt in eine Generalkritik sowohl an der Präsenz Roms in Galatien als auch am Einfluss des Paulus auf seine Gemeinden. Unsichtbar wird dabei eine innerjüdische Auseinandersetzung am Anfang der Christus-Bewegung um die neue christliche Identität ebenso wie das Auftreten eines charismatischen Apostels, der seine Botschaft gerade nicht mit physischer Gewalt, sondern mit rhetorisch gestalteter ArgumentationFootnote 30 durchzusetzen versucht.

1.3 Der νόμος als römisches Gesetz?

Kahl stellt 2005 die römische imperiale Ordnung und die neue Weltordnung des Galaterbriefs einander gegenüber.Footnote 31 Die römische Ordnung basiert nach Kahl auf der Verbindung von Göttern, Ordnung und Gesetz, wobei der römische Kaiser in seiner Verbindung zu den Göttern – als divi filius – die Ordnung garantiert.Footnote 32 Wenn Paulus im Galaterbrief kritisch vom νόμος spricht, sieht sie in diesem Begriff das jüdische Gesetz und das römische Gesetz mit ihren jeweiligen Ordnungsvorstellungen weitgehend überblendet: „Alles, was im Galaterbrief über den Nomos, das ‚Gesetz‘ gesagt wird, bezieht sich nicht nur auf die Tora als das jüdische Gesetz, sondern muss zugleich im Rahmen des römischen Gesetzes entziffert werden.“Footnote 33 Kahl setzt dabei eine gleichgerichtete Ordnungsfunktion der Gesetze voraus. Sie postuliert eine Situation, „in der jüdisches und römisches Gesetz auf komplexe Weise miteinander vermischt sind und interagieren“; Paulus habe ein jüdisches Gesetz im Blick, „das wenigstens in Teilen durch das imperiale und öffentliche Gesetz in Beschlag gelegt und somit in die römische Ordnung eingebaut und eingeebnet war“.Footnote 34 Das ist eine starke Behauptung – wenn man bedenkt, dass die Tora aus jüdischer Perspektive (auch) der Abgrenzung gegenüber der paganen Welt dient!

Damit kann Kahl Aussagen des Galaterbriefs zum Gesetz auf die römische Herrschaft beziehen. Der Mittler des Gesetzes, von dem Gal 3.19–20 spricht, kann so „im besonderen aber auf den obersten Gott-Götzen, nämlich den römischen Kaiser anspielen“.Footnote 35 Dann wird eine politische Kritik hörbar. Entsprechend deutet Kahl die „Falschbrüder, die sich eingeschlichen haben“, in Gal 2.4 mittels politischer Sprache als Spione, als „social control agents“.Footnote 36 Die Tischgemeinschaft in Antiochia nach Gal 2.11–4 erklärt sie als „Tischgemeinschaft einer neuen Zeit und einer neuen Weltordnung“.Footnote 37 Den Rückzug von Petrus und Barnabas „vom messianischen Tisch“ habe Paulus dann „als eine erneute Unterstellung unter das Gesetz des Kaisers“ verstanden:Footnote 38 „In Antiochien kann man nicht den Gekreuzigten und den Kaiser zugleich als Gottessöhne bekennen, dem Messias ebenso folgen wie dem imperialen Gesetz und seiner Schlachtordnung: der Ordnung dieser ‚bösen gegenwärtigen Weltzeit‘, wie Paulus sie in Gal 1,3 bezeichnet.“Footnote 39

Die Kontexte, in denen der Begriff νόμος im Galaterbrief steht, enthalten allerdings keinerlei Referenz auf das römische Gesetz. Paulus, der Jude, war mit der Tora so vertraut, dass er sie kaum mit dem römischen Gesetz gleichgesetzt hätte. Im Gegenteil war ihm die identitätsabgrenzende Funktion der Tora nur zu bewusst, schließlich liegt genau darin der Anstoß zum Konflikt in Galatien. Die scharfe Front zum νόμος, die Kahl entwirft, lässt keinen Raum für paulinische Differenzierungen bei der Anwendung der Tora (vgl. Röm 7.12: „das Gesetz ist heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut“). Kahl überlagert den innerjüdischen Konflikt in Galatien durch einen politischen Konflikt. Interessant ist jedoch Kahls grundsätzliche Gegenüberstellung zweier Systeme der Welterklärung.

2. Politische Sprach- und Denkmodelle im Galaterbrief

Methodisch leitend kann die Frage nach Mustern einer christlichen Weltdeutung im Galaterbrief sein, die Anklänge an die politische Sprache römischer Welterklärung zur frühen Kaiserzeit aufweisen. Solche Schnittstellen eröffnen die Möglichkeit, Aussagen des Galaterbriefs auf dem Hintergrund römischer Kaiserinszenierungen als Kontrastaussagen zu interpretieren.

2.1 Die „gegenwärtige böse Weltzeit“ in Gal 1.4

Im Präskript des Galaterbriefs formuliert Paulus in Gal 1.3–4 einen Gnaden- und Friedenswunsch für die Adressaten:

3 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus, 4 der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat, um uns herauszuholen aus der gegenwärtigen bösen Weltzeit (ἐκ τοῦ αἰῶνος τοῦ ἐνɛστῶτος πονηροῦ) nach dem Willen unseres Gottes und Vaters.

Jesus erscheint hier als Machtfigur. Er trägt den Titel „Herr“ (κύριος), ist „Christus“ (der jüdische Messias) und besitzt kosmische Macht, d. h. er kann aus dieser Weltzeit „herausholen“. Für unser Thema interessant ist die Näherbestimmung des „Herrn Jesus Christus“ durch eine Heilsaussage, die eine Deutung seines Todes beinhaltet. Seine Hingabe (vgl. 2.20) „für unsere Sünden“ bedeutet die Befreiung von den Sünden und wendet das Unheil, das die Sünden darstellen, auch für die Zukunft ab (vgl. 1 Kor 15.3; Röm 4.25). Diese Befreiung formuliert Paulus als Gegensatz zur real erfahrbaren Welt, die als „gegenwärtige böse Weltzeit“ scharf abgewertet wird.

Im Hintergrund steht das frühjüdische Schema zweier Äonen oder „Weltzeiten“. Dabei ragt die mit Jesu Sterben (und Erweckung, s.o., 1.1) angebrochene neue Zeit bereits in die gegenwärtige alte Weltzeit hinein, indem Jesu Sterben die Seinen aus ihr „herausholt“. Das Äonen-Schema verdankt sich apokalyptischem Denken, das den Anbruch einer neuen Weltzeit erwartet, den Anbruch der vollendeten Herrschaft Gottes über die ganze Schöpfung, die endgültig Gerechtigkeit und gute Lebensverhältnisse aufrichtet.Footnote 40 Gottes Herrschaft wird eine Neugestaltung aller kosmischen und politischen Wirklichkeit, die an ihre Ende gekommen ist, bringen. Die Voraussetzung für den vollendeten Äon Gottes bildet die Trennung ungerechter Menschen, Mächte und Strukturen von gerechten durch Gott im Gericht, da nur so ein wirklich heilvolles Leben in der Gottesherrschaft möglich ist.

Für die zu Jesus Gehörenden hat diese Herrschaft Gottes bereits begonnen, und sie leben jetzt schon als befreite Menschen, als „neue Schöpfung“ (so in Gal 6.15). Die alte Weltzeit und mit ihr die Sünde verlieren den Zugriff auf die Befreiten. Möglich ist diese Zeitenwende, weil sie „dem Willen unseres Gottes und Vaters“ entspricht. Gott, der Gott Israels, selbst veranlasst dieses Szenario.

Paulus formuliert an dieser Stelle keine explizite Kritik am römischen Kaiser (zeitgeschichtlich: Nero). Dennoch enthält die Rede von der „gegenwärtigen bösen Weltzeit“ eine politische Konnotation, indem sie eine kritische Perspektive auf die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der damaligen Zeit beinhaltet. Eine ausgesprochen negative Bewertung der gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse ist apokalyptischen Schriften seit jeher inhärent (Dan 2.44; 7.13–14; AssMos 10; PsSal 17; 4 Esr 7.31–8; 11.1–12.51; Offb 13; 17–18; 2 Thess 2.3–12), was die Rezeption von Gal 1.4 anregen könnte. Das Bild des bösen Äons entfaltet seine Aussagekraft auf dem Hintergrund des römischen Weltbildes, das die reale Welt des römischen Imperiums als Goldenes Zeitalter begreift, das Frieden und Wohlstand für die Bevölkerung bringt und das speziell an die Herrschaft des römischen Princeps, der dafür von den Göttern ausersehen wurde, gebunden ist.Footnote 41

Zwei Beispiele: (1) Das Kalenderdossier aus Kleinasien (Inschrift von Priene) verankert 9 v. Chr. die Überzeugung vom Anbruch einer neuen, heilvollen Zeit mit dem Princeps Augustus fest im Bewusstsein der Bevölkerung. Es rühmt den „göttlichen Caesar“ (θɛιότατος Καῖσαρ, Z. 4) Augustus, dessen Geburtstag als „Beginn aller Dinge“ (ἀρχὴ τῶν πάντων, Z. 5) erscheint, als den, der die vor ihrem Ende stehende Welt durch sein heilvolles und segensreiches Tun gerettet und zu einer neuen Blüte in Natur und Politik, zu neuem Glück und Gedeihen gebracht hat; mit ihm beginnt eine neue Weltordnung, da er „der ganzen Welt ein anderes Antlitz gegeben hat, die am liebsten ihren Untergang gewünscht hätte“ (Z. 7–8).Footnote 42 Von seinem Geburtstag gehen die „guten Nachrichten“ (ɛὐανγέλια [sic], Z. 40) für die ganze Welt aus – und entsprechend setzt das Koinon der Provinz Asia den Jahresbeginn auf den Geburtstag des Augustus fest (Z. 50–52) und strukturiert damit die Zeit neu. Daran wird deutlich wahrnehmbar: Der Kaiser ist Herr über die neue, heilvolle Weltzeit!

(2) Die 1. Ekloge des Dichters Calpurnius Siculus entstand in der Zeit des Regierungsantritts des jungen Kaisers Nero (54/5 n. Chr.) und damit in nächster zeitlicher Nähe zum Galaterbrief. Sie sieht mit dem jungen Kaiser „glückliche Zeiten“ (beata saecula, 1.44–5) anbrechen und hebt dessen Weltherrschaft hervor (1.74–8); ihm wird die „Welt(macht)“ (orbis, 1.86) übertragen.Footnote 43 Die Weltherrschaft, das Goldene Zeitalter, wird von den Göttern garantiert und ist an die Person des Kaisers gebunden. Weil der Kaiser seine Vollmacht von den Göttern erhält, kommt ihm höchste Legitimation zu, und er erscheint selbst als Gott. Calpurnius bringt die Verbindung von Weltherrschaft und Göttlichkeit des Kaisers so zum Ausdruck:

Kaiser, ob du nun Juppiter bist mit verwandeltem Aussehn
oder ein anderer Gott unter täuschendem Bild eines Menschen,
unerkannt: Gott bist du sicher; ich bitte dich, lenke den Erdkreis (orbis),
lenke auf ewig, ich bitt’ dich, die Völker …Footnote 44

Der Kaiser fungiert als Garant der göttlichen Ordnung. Wenn Paulus in Gal 1.4 die gegenwärtige Welt generell als „böse“ bewertet, stellt er unweigerlich die göttliche Herrschaft des Kaisers in Frage. In der Funktion des Kaisers begegnet jetzt Christus: Er ist „Herr“ (κύριος), er vermag die Seinen aus dem gegenwärtigen Äon „herauszuholen“ und er setzt den „Willen unseres Gottes und Vaters“, des Gottes Israels, um. Eine implizite Konkurrenz des Christus zum Kaiser tritt zutage, denn die Strukturen der Bevollmächtigung schließen sich aus: Hinter der Weltherrschaft des Kaisers stehen die römischen Götter, deren Ordnungsmacht und Willen der Kaiser verkörpert; hinter der Macht des Christus über den gegenwärtigen Äon steht der Gott Israels, dessen Vollmacht und Willen Christus verkörpert. Es handelt sich um eine Konkurrenz der religiös-politischen Weltbilder, die ich als grundlegende politische Kritik des Paulus am imperium Romanum verstehe.

Das exegetische Problem besteht darin, dass Paulus diese Kritik nicht explizit äußert. Ihre Wahrnehmung ist also eine Frage der jeweiligen Hermeneutik – was sich darin zeigt, dass manche Exegeten das Vorliegen einer solchen Kritik gänzlich bestreiten. Ein pointiertes Beispiel bietet John Barclay (2011), der hervorhebt, dass Paulus gerade keine direkte Kritik am römischen Kaiser äußert, was er durchaus hätte tun können, hätte er dies beabsichtigt.Footnote 45 Nach Barclay ordnet Paulus den Kaiserkult als Teil der paganen Götterverehrung ein, lässt aber kein spezielles Interesse daran erkennen.Footnote 46 Sein entscheidendes Argument: Das römische Imperium spiele für Paulus keine herausragende Rolle, sondern sei lediglich ein Teil der Mächte dieser Welt: „From Paul's perspective, the Roman empire never was and never would be a significant actor in the drama of history: its agency was derived and dependent, co-opted by powers (divine or Satanic) far more powerful that [sic] itself.“Footnote 47 Barclay gelangt zu der paradoxen Schlussfolgerung, „that Paul's theology is political precisely in rendering the Roman empire theologically insignificant“:Footnote 48 „At the deepest level Paul undermines Augustus and his successors not by confronting them on their own terms, but by reducing them to bit-part players in a drama scripted by the cross and resurrection of Jesus.“Footnote 49 Will Paulus also das imperium Romanum „totschweigen“?

Wenn ich bestimmte Äußerungen des Paulus dennoch als politische Kritik lese, liegt dies in der engen Verzahnung der beiden Wirklichkeitsbereiche, die wir (heute!) als Religion und Politik bezeichnen, in der Lebenswelt des 1. Jahrhunderts begründet. Dabei trifft die „religiöse“ Kritik des Paulus an den paganen Göttern und ihrer Verehrung besonders die Form von „Religion“, die mit der konkreten politischen Wirklichkeit – eben dem imperium Romanum – verwoben ist. Für die römische Kaiserideologie spielt, wie wir gesehen haben, die Verbindung des Kaisers zu den Göttern, umgesetzt in kultischer Formensprache, eine herausragende Rolle.Footnote 50 Deswegen betrifft die Kritik an der Weltordnung vor allem den Kaiser, weil er diese Ordnung – im Auftrag der Götter – in der Welt garantiert und verkörpert. Es kann nur eine heilvolle neue Weltzeit geben. Die Weltbilder des imperium Romanum bzw. des Paulus weisen dieselbe Grundstruktur auf und konkurrieren gerade deswegen miteinander: (1) eine herausragende Gestalt (der Kaiser/Christus) – (2) erscheint als der Repräsentant der Götter/Gottes (und besitzt „Göttlichkeit“) – (3) garantiert die neue, heilvolle Weltzeit, hat globale Bedeutung und wirkt sich auf die ganz konkrete Lebenswelt aus. Der Kaiser ist konkret anwesend: Seine Präsenz in den Städten des Reiches ist für die Bevölkerung durch vielfältige Formen öffentlicher Inszenierungen der Kaiserverehrung wie Inschriften, Statuen, Spiele, Feste, Kalender, Tempel und Kult unübersehbar.

Justin Hardin (2008) und Felix John (2016) haben die Präsenz Roms und besonders der Kaiserverehrung in der Region Galatien bzw. der gleichnamigen römischen Provinz in der julisch-claudischen Zeit untersucht. Heiligtümer für den Kaiserkult existierten in der Region Galatien in den Städten Ankyra und Pessinus, und wir wissen z. B. auch von der Veranstaltung von Spielen in Verbindung mit der Kaiserverehrung in Ankyra, Pessinus und Tavium.Footnote 51

Wer an solchen Formen teilnimmt und seine Zugehörigkeit zum römischen Imperium und dem dahinter stehenden Weltbild demonstriert, hat Teil an einer umfassenden Weltordnung, von der man ganz konkret – politisch innerhalb der eigenen Stadt, wirtschaftlich im Berufsverein etc. – profitieren kann. Daher trifft die Infragestellung der religiösen Weltordnung im Galaterbrief in besonderer Weise den politisch-religiösen Bereich, also die Realität des imperium Romanum und die Kaiserherrschaft, weil sich dort die von den Göttern garantierte Weltordnung manifestiert. Diese Rezeptionsfolie können wir historisch aufweisen, während uns die Absicht des Autors und die tatsächliche Rezeption der Adressaten des Galaterbriefs notgedrungen verborgen bleiben.

Natürlich stellt sich die Frage, warum Paulus eine Kritik am römischen Weltbild nicht explizit macht. Es ist wohl so, dass sie für ihn nicht im Vordergrund steht. Politische Kritik ist eher ein Nebenprodukt: die bedeutungsschwere Konsequenz aus der Überzeugung von der neuen Weltherrschaft des erhöhten Christus.

2.2 Die Konzeption eines neuen Weltbilds: „Evangelium“ und „Sohn Gottes“

In Gal 1.4 entwirft Paulus mit wenigen Strichen ein anderes WeltbildFootnote 52 als das des römischen Goldenen Zeitalters. Auch an anderen Stellen ruft der Galaterbrief dieses Weltbild wach, sodass es sich über einzelne Begriffe hinaus zu einer Konzeption der Welterklärung verdichtet. Aussagen über die christliche Identität erhalten dabei auf der Folie der römischen Herrschaft und Kaiserinszenierung politische Konnotationen, worin eine Konkurrenz zum Kaiser hörbar wird. Dieser Vorgang zeigt sich an den Begriffen „Evangelium“ und „Sohn Gottes“, die sowohl für die neue Identität und das neue Weltbild der Christen, als auch für die mit dem römischen Kaiser verbundene Weltdeutung wesentlich sind.

Das „Evangelium von Christus“ (ɛὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ, Gal 1.7), das Paulus verkündet hat, grenzt er in Gal 1.6–12 scharf gegen das „andere Evangelium“ (1.6) der Konkurrenten in Galatien ab, das eine traditionell jüdische Modifikation (und für Paulus Verfälschung) seines Evangeliums darstellt. „Evangelium“ fasst die Botschaft vom erhöhten Christus, dessen neue Herrschaft Rettung für die ganze Welt bringt, zusammen. Das Evangelium bestimmt die Identität der Christen. In der frühen römischen Kaiserzeit wird der Begriff ɛὐαγγέλια im Plural bekanntlich aber auch für „frohe Botschaften“ über den Kaiser wie Geburtstag, Herrschaftsantritt oder Erfolge verwendet.Footnote 53 Dann ist es der Kaiser, der Frieden, Ordnung und Wohlstand für das ganze Reich garantiert. Das Evangelium von Christus konkurriert mit diesem Anspruch des Kaisers und seiner Deutungshoheit über Welt und Geschichte.

Ebenso weckt die Bezeichnung des Christus als „Sohn Gottes“ (υἱὸς τοῦ θɛοῦ, Gal 2.20) bzw. „sein Sohn“ (1.16) Assoziationen an den römischen Kaisertitel divi filius, Sohn eines vergöttlichten Vorgängers, der seit Augustus auf Münzen und Inschriften verbreitet wurde.Footnote 54 Durch den Titel wird er an den divinisierten Vorgänger (Iulius Caesar) gebunden und damit an die Welt der Götter. Den exklusiven Herrschaftsanspruch des Kaisers stellt Christus als „Sohn Gottes“ in Frage.

2.3 Das Kreuz Christi als Bruch mit der Welt

Paulus nennt im Galaterbrief häufig das Kreuz, wenn er vom Tod Jesu bzw. der Teilhabe der Seinen daran spricht, was gerade angesichts der Tatsache auffällt, dass er auch anders auf den Tod Jesu referieren kann (Gal 1.1; 2.21; 3.13). In 2.19 hält Paulus den Neuanfang seiner Beziehung zu Gott bzw. zur Tora, die radikale Neuwerdung in Christus fest: „Ich bin mit Christus gekreuzigt“ (Χριστῷ συνɛσταύρωμαι).Footnote 55 In 3.1 betont er gegenüber den Briefadressaten, dass ihnen „Jesus Christus vor Augen geschrieben wurde als Gekreuzigter (ἐσταυρωμένος)“. Und in 6.14–15 resümiert er:

14 Ich aber kann mich nicht rühmen, außer mit dem Kreuz (ἐν τῷ σταυρῷ) unseres Herrn Jesus Christus, durch das für mich die Welt gekreuzigt wurde und ich für die Welt (δι’ οὗ ἐμοὶ κόσμος ἐσταύρωται κἀγὼ κόσμῳ). 15 Denn weder die Beschneidung ist etwas noch das Unbeschnittensein, sondern eine neue Schöpfung (καινὴ κτίσις).

Als „Gekreuzigter“ steht Christus, die Identitätsfigur der Christen, quer zur römischen Ordnung. Er erlitt die schändliche römische Todesstrafe für politische Verbrecher, v. a. für Sklaven und Terroristen, was eine soziale Abwertung des Todes Jesu beinhaltet. In römischer Perspektive erhält die Kreuzesstrafe die römische Weltordnung und die pax Romana aufrecht.Footnote 56 Wenn ausgerechnet der Gekreuzigte der Messias, der Repräsentant Gottes, sein soll, bedeutet das eine Relativierung der Herrschaftsideologie Roms mit ihren gesellschaftlichen Werten, Normen und Statuszuschreibungen. Es fällt auf, dass Paulus hier – wie schon in 1.3 – Christus mit einer ganzen Titelfolge als „Herrn Jesus Christus“ anspricht, was Kreuz und Machtposition verbindet und zugleich an die amtliche Titelfolge in kaiserlichen Edikten erinnert. Ein Beispiel bietet die Absenderangabe in einem Brief des Kaisers Claudius nach Ägypten: „Tiberius Claudius Cäsar Augustus Germanicus Imperator, Pontifex Maximus, im Besitz der tribunizischen Gewalt, designierter Konsul, grüßt die Stadt Alexandria“.Footnote 57

Für die Christus-Anhänger bedeutet die Zugehörigkeit zu Christus und die Teilhabe an seinem Tod einen Bruch mit der Welt, eine signifikante Distanz zur Welt, wie Gal 6.14 deutlich formuliert: das Kreuz, „durch das für mich die Welt gekreuzigt wurde und ich für die Welt“.Footnote 58 Die Unterwerfung unter die Welt ist damit an ihr Ende gekommen. Die Lebenswelt der Galater wurde politisch und gesellschaftlich von der römischen Herrschaft und der Präsenz des Kaisers geprägt, sodass Distanz zur Welt besonders auch Distanz gegenüber dem römischen Herrscher und den römischen Werten bedeutet. Der Distanz zur Welt steht in 6.15 die Zugehörigkeit zu einer „neuen Schöpfung“ gegenüber (vgl. 2 Kor 5.17),Footnote 59 die gerade durch das Kreuz generiert wird. Wie wir bereits bei Gal 1.4 sahen, erwartete das frühjüdisch-apokalyptische Denken eine völlige Neuschöpfung des Kosmos durch Gott, einen neuen Äon, in dem gerechte und gute Lebensverhältnisse herrschen, wie z. B. Jes 65.17–25 ausführt. An dieser neuen Wirklichkeit haben die zu Christus Gehörenden als „neue Schöpfung“ bereits Anteil, was ihr besonderes Selbstverständnis ausmacht. Das neue Weltbild der Christen tritt mit seinem Anspruch auf Deutungshoheit über die Welt in Konkurrenz zur politisch-sozialen Gegenwart. Paulus verstärkt diese Konkurrenz in Gal 5.24 durch das Statement, diejenigen, die zu Christus gehören, „haben das Fleisch mit den Leidenschaften und den Begierden gekreuzigt“. Die Aussage steht im Kontext der Alternative eines Lebens im „Geist“ oder im „Fleisch“, die 5.16–26 aufrichtet. Die Maßstäbe der Gesellschaft, des „Fleisches“, haben die Christen gekreuzigt, d. h. sie stellen deren Geltung in Frage und leben nach einem alternativen Ethos (5.13–6.10).

2.4 Die Zeitenwende in Gal 4.1–7

Der Abschnitt Gal 4.1–7 arbeitet mit der Metaphorik des Erben. Indem er die Unmündigkeit und die Sohnschaft des Erben einander gegenüberstellt, verdeutlicht er die substantielle Veränderung, die die Hinwendung zu Christus bedeutet. In 4.3 bringt Paulus die Existenz vor der Zugehörigkeit zu Christus auf den Punkt:

Als wir unmündig waren, waren wir unter die Elemente der Welt versklavt.

Die „Elemente der Welt“ umschreiben die Mächte, die das Leben der Welt bestimmen, speziell die griechisch-römischen Götter (s. 1.2). Später nennt Paulus sie die „schwachen und armseligen Elemente“ (4.9), deren Verehrung aus christlicher Perspektive nur Versklavung bedeuten kann, weil sie „von Natur aus keine Götter sind“ – Gott ist nur der eine Gott Israels (4.8). Wer unter diesen Elementen steht, ist versklavt, denn er lebt unter fremden Mächten und wird von ihnen bestimmt. Die reale politische Lebenswelt der Adressaten lässt diese Mächte konkret werden im römischen Kaiser und seiner Weltherrschaft.

Die mit der Sendung des Christus angebrochene Zeitenwende beschreibt Gal 4.4–7 als „Fülle der Zeit“, wobei eine ganze Reihe von Motiven an die römische Kaiserideologie erinnert:

4 Als aber die Fülle der Zeit (τὸ πλήρωμα τοῦ χρόνου) kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter dem Gesetz, 5 damit er die unter dem Gesetz loskaufe (ἐξαγοράσῃ), damit wir die Kindschaft (υἱοθɛσίαν) empfangen. 6 Weil ihr aber Kinder (υἱοί) seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der ruft: Abba, Vater. 7 Daher bist du nicht mehr Sklave (und Sklavin), sondern Sohn (und Tochter); wenn aber Sohn (und Tochter), auch Erbe durch Gott.

Das Motiv „Fülle der Zeit“ entspricht der apokalyptischen Zeitenwende und leitet den neuen Äon ein. Die Formulierung erinnert an einen Topos aus der römischen Rhetorik des Goldenen Zeitalters, das mit dem regierenden Kaiser angebrochen ist und die Lebensverhältnisse der Bevölkerung zu einer Fülle an Gutem wendet. Vergil beschreibt in diesem Kontext Wohlstand und Fülle als Naturparadies, als „Tierfriede“ und Fruchtbarkeit, die schwere landwirtschaftliche Arbeit überflüssig macht.Footnote 60 Horaz preist die Folge militärischer Siege Roms: „Goldene Fülle goss aus vollem Horn Früchte über Italien aus“ (aurea fruges | Italiae pleno defundit copia cornu, Hor. Epist. 1.12.28–9). Vorausgesetzt wird dabei die Göttlichkeit des Kaisers entsprechend der antiken Vorstellung, dass die Epiphanie eines Gottes wunderhafte Veränderungen der Natur wie Windberuhigung, Wohlgeruch und das üppige, freiwillige Schenken der Natur auslösen kann.Footnote 61

Als Chiffre für die Fülle des Goldenen Zeitalters wurde das Motiv des Füllhorns verwendet: „Und es erscheint segensreiche Fülle mit ihrem vollen Horn“ (adparetque beata pleno copia cornu, Hor. Carm. saec. 60). Das Bild des Füllhorns konnte Assoziationen an eine Zeit der Fülle und Fruchtbarkeit wecken, die mit der Herrschaft des Kaisers verbunden war.Footnote 62 Zur Verbreitung trugen kaiserliche Münzprägungen mit dem Füllhorn-Motiv bei.Footnote 63

Eine implizite Konkurrenz zum Kaiser entsteht, wenn Paulus die „Fülle der Zeit“ mit der Sendung des Sohnes Gottes verbindet (Gal 4.4–5). Nicht dem Kaiser, sondern Christus wird der Herrschertitel „Sohn Gottes“ zugesprochen. Das Motiv der Sendung hebt die göttliche Herkunft und Beauftragung dieses Sohnes hervor, der als Repräsentant Gottes mit aller Vollmacht ausgestattet ist. Die Sendung vollzog sich unter den Bedingungen der menschlichen und speziell der jüdischen Existenz. Ihr Ziel war der Loskauf derer, die „unter dem Gesetz“ leben, was sich auf alle feindlichen Mächte der Welt bezieht (und nicht auf einen Loskauf vom Gesetz). Die Metapher des Loskaufs verdankt sich der römischen Praxis des Freikaufs von Sklaven, z. B. aus der Schuldsklaverei, oder von Kriegsgefangenen, die von den Siegern versklavt wurden. Der Loskauf führt zum Empfang der „Kindschaft“ (υἱοθɛσία, wörtlich „Sohnschaft“).

Mit „Sohnschaft“ benutzt Paulus den antiken Fachbegriff für eine Adoption und beschreibt damit die engste Zugehörigkeit zu Gott (vgl. Röm 8.15). Das Modell der Adoption spielte in der Zeit der julisch-claudischen Kaiser eine wesentliche Rolle bei der Nachfolgeregelung. Der kaiserliche Status und die Machtlegitimation der Familie wurden durch die gesellschaftlich anerkannte und rechtsgültige Form der Adoption an den Sukzessor weitergegeben, wenn dieser kein leiblicher Sohn war. Oktavian, der spätere Augustus, wurde durch Adoption zum divi filius, zum Sohn des vergöttlichten Vorgängers Iulius Caesar.Footnote 64 Nero wurde von Claudius adoptiert.Footnote 65

Die mit Christus begonnene neue Zeit zeichnet sich nun gerade dadurch aus, dass alle, die zu Christus gehören, „Kinder“ (υἱοί, „Söhne“) Gottes sind. Als solche stehen sie in einem unmittelbaren Verhältnis zu Gott, den sie – im Geist seines Sohnes – als „Abba, Vater“ anrufen dürfen (Gal 4.6).Footnote 66 Wenn in Christus alle Christen Söhne und Töchter Gottes sind, wird – auf der Folie der Kaiserideologie – die Position des Kaisers relativiert, der als einziger divi filius unter allen anderen Menschen herausgehoben wird (die nicht divi filii sind). Die Christen stellen so die römische Status-Hierarchie völlig auf den Kopf. Denn jeder von ihnen („du“) lebt nach 4.7 in einem neuen Status vor Gott: nicht mehr als Sklave, sondern als Sohn (und Tochter) und damit als rechtsgültiger Erbe.Footnote 67 Sie alle stehen vor Gott auf der Stufe der legitimen Kinder. Das bedeutet für eine Sklavin oder einen Sklaven, dass sie/er eine gleichrangige, vollgültige Position vor Gott und – ganz konkret erfahrbar – in der Gemeinde besitzt, was eine entscheidende soziale Statusaufwertung bedeutet.Footnote 68

Die „Fülle der Zeit“ wird also als neues Gottesverhältnis, als neue Unmittelbarkeit aller Christen zu Gott definiert – und nicht als irdischer Überfluss. Die römische Weltdeutung wird umgekehrt: Wer unter den Mächten der Welt – und der Kaiserherrschaft – lebt, ist versklavt, und wer mit Christus lebt, erfährt die „Fülle“.

Einen eigenen Abschnitt bildet die Schriftauslegung in Gal 4.21–31, die ein „jetziges Jerusalem“ einem „oberen Jerusalem“ gegenüberstellt (4.25–6). Zwar könnte man auf den ersten Blick beim „jetzigen Jerusalem“, das „Sklavendienst leistet“ (δουλɛύɛι, 4.25), zeitgeschichtlich an die römische Besatzung Jerusalems denken,Footnote 69 doch lenkt der Gesprächskontext die Rezeption in eine ganz andere Richtung: Thema des Abschnitts ist das Leben „unter dem Gesetz“ (der Tora, 4.21). Die Namen Abraham, Hagar und Isaak sowie die Nennung des Berges Sinai und zweier „Bundesschlüsse“ (διαθῆκαι) ordnen die allegorische Darstellung, verbunden mit der Opposition von Sklaverei und Freiheit, in die briefspezifische Diskussion um die in Christus veränderte Beziehung zu Gott und die daraus resultierende Anwendung der Tora ein.Footnote 70 Das „jetzige Jerusalem“ entspricht den traditionell toraobservanten Jüdinnen und Juden und referiert nicht auf jüdische Menschen als solche, die unter römischer Herrschaft stehen.

2.5 Die neue Gemeinschaft nach Gal 3.28

Durch ihre Haltung des „Vertrauens“ und ihre Existenz in der Sphäre des Messias Jesus, „im Christus Jesus“, sind die Christen mündige Kinder Gottes und leben so in größter Nähe und Unmittelbarkeit zu Gott (Gal 3.26).Footnote 71 Durch die Taufe haben sie in ihrer ganzen Existenz Anteil an Christus, und ihre Identität ist nun von ihm bestimmt (3.27). Die Taufe macht den Existenzwandel rituell erfahrbar. Eine neue soziale Lebensform ist die Folge, wie 3.28 programmatisch formuliert (vgl. 1 Kor 12.13; Kol 3.11): „Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht männlich und weiblich.“ Die drei Gegensatzpaare zielen auf eine Überwindung der üblichen Status- und Herrschaftsstrukturen der hellenistisch-römischen Gesellschaft.Footnote 72 Das betrifft erstens die Identität der Christus-Anhänger, die nicht mehr durch Ethnizität, Status und Gender definiert ist, und zweitens das konkrete soziale Verhalten in der Gemeinde, in der die üblichen sozialen Barrieren sichtbar durchbrochen sind. Alle sind sie „einer im Christus Jesus“ und leben in dieser Einheit gleichrangig, gleichwertig und gleichberechtigt miteinander. Wenn in der Gemeinde die üblichen Statusunterschiede nicht mehr gelten, übt sie „gelebte Kritik“ am römischen Gesellschaftssystem, das im Kaiser gipfelt.Footnote 73

3. Fazit: Ein neues Weltbild und seine Konsequenzen

Die neue christliche Weltanschauung tritt in den besprochenen Aussagen des Galaterbriefs deutlich zutage. Natürlich kann man alle diese Aussagen ohne jeden Bezug auf imperiale Vorstellungen als rein theologische Aussagen lesen. Man kann sie aber auch auf der Folie der römischen Kaiserideologie lesen, in ihrer konkreten Lebenswelt und politischen Realität. Dann gewinnen sie eine Tiefenschärfe, die zwei Bereiche christlicher Identität betrifft:

  1. (1) Die christliche Weltdeutung impliziert eine Relativierung der römischen Weltordnung und grenzt sich davon ab. Sie vermittelt eine gebrochene Perspektive auf das römische Imperium mit seinen Institutionen und Inszenierungen. In dieser Perspektive gewinnt die neue Wirklichkeit, die in Christus angebrochen ist, konkrete Bedeutung für den Alltag der Christen. Sie leben im Bewusstsein der Distanz zur römischen Herrschaft.

  2. (2) Pragmatisch zielt die neue Weltdeutung nicht auf Auflehnung oder Widerstand gegen die römische Herrschaft, sondern auf die Entwicklung einer eigenen, alternativen Form des Zusammenlebens in den Gemeinden. Politisch-soziale Kritik verkörpert sich in der Gestalt der Gemeinden, die damit zum Modell gemeinschaftlichen Lebens in der neuen Wirklichkeit des Christus werden.

Vielleicht trägt die politische Lesart auch etwas zum Verständnis der Argumentation des Galaterbriefs insgesamt bei. Politische Anklänge machen den Adressaten einmal mehr die umfassende Bedeutung bewusst, die die neue Wirklichkeit, deren Teil sie durch die Zugehörigkeit zu Christus geworden sind, für sie besitzt. Es lohnt sich auch deshalb für sie, bei dieser neuen Wirklichkeit in Christus zu bleiben, weil sie die Sicht auf die politische Realität radikal verändert.

Acknowledgements

Der Beitrag wurde als Seminar Paper beim 75. General Meeting der SNTS in Leuven (online) am 20.07.2021 vorgetragen. Allen, die am Seminar zum Galaterbrief teilgenommen haben, danke ich für die lebhafte und anregende Diskussion.

Competing interests

The author declares none.

References

1 Vgl. nur D. Sänger, „Plurale Konfliktlinien: Theologische Konturen der Gegenspieler im Galaterbrief“, Gegenspieler: Zur Auseinandersetzung mit dem Gegner in frühjüdischer und urchristlicher Literatur (WUNT 428; hg. M. Tilly/U. Mell; Tübingen: Mohr Siebeck, 2019) 101–36 (119: die Gegner als „judaisierende Judenchristen“; kursiv im Original); S. Schreiber, „Der Galaterbrief“, Paulus schreibt den Gemeinden, Band ii (S. Bieberstein u. a.; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 2020) 92–183, hier 98–101; M. Theobald, „Der Galaterbrief“, Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6; hg. M. Ebner/S. Scheiber; Stuttgart: Kohlhammer, 20203) 349–67, hier 358–61.

2 D. A. deSilva, The Letter to the Galatians (NICNT; Grand Rapids: Eerdmans, 2018) 368–75.

3 Zur Forschung Diehl, J., „Empire and Epistles: Anti-Roman Rhetoric in the New Testament Epistles“, CBR 10 (2012) 217–63Google Scholar, hier 239–44.

4 Die Übersetzungen zum Galaterbrief stammen alle aus Schreiber, „Galaterbrief“, 106–82.

5 Winter, B. W., Seek the Welfare of the City: Christians as Benefactors and Citizens (Grand Rapids: Eerdmans, 1994) 135–9Google Scholar; vgl. derselbe, Divine Honours for the Caesars: The First Christians’ Responses (Grand Rapids: Eerdmans, 2015) 226–49.

6 B. Kahl, „Galaterlektüre am Großen Altar von Pergamon“, TeKo 108 (28/4, 2005) 3–25, 13. Sie schließt sich an M. D. Nanos, The Irony of Galatians: Paul's Letter in First-Century Context (Minneapolis: Fortress, 2002) 261–5, an; vgl. M. D. Nanos, „The Inter- and Intra-Jewish Political Context of Paul's Letter to the Galatians“, Paul and Politics: Ekklesia, Israel, Imperium, Interpretation (FS K. Stendahl; hg. R. A. Horsley; Harrisburg: Trinity International, 2000) 146–59, hier 148: die galatischen Heidenchristen „were not yet included among those who were freed from participation in the imperial cult by way of the daily sacrifice made in Jerusalem“.

7 Kahl, „Galaterlektüre“, 16; vgl. 20–1. Auch dieselbe, Galatians Re-Imagined: Reading with the Eyes of the Vanquished (Paul in Critical Contexts; Minneapolis: Fortress, 2010) 274–5: Die Kontrahenten „require circumcision as an act of conformity with Roman rule and religion … Under the pretense of Torah piety, a demonstration of loyalty or faith toward the imperial order is made“ (274); Paulus warnt, dass „a return to the cursed logic and ‘sin’ inherent to the imperial order of conquest and colonization has deadly consequences“ (275). Vgl. Nanos, „Context“, 157, der die Kontrahenten als Proselyten aus der lokalen Synagoge bestimmt.

8 J. K. Hardin, Galatians and the Imperial Cult: A Critical Analysis of the First-Century Social Context of Paul's Letter (WUNT ii/237; Tübingen: Mohr Siebeck, 2008) 102–10. Aufgenommen ist die These von Winter und Hardin bei Kahl, Galatians, 217–27.

9 Auch die anderen Stellen im Gal, die von „verfolgen“ sprechen, beziehen sich auf Nachstellungen von (nicht-christlichen) Juden gegen Judenchristen: Gal 1.13, 23; 4.29. Dazu J. D. G. Dunn, A Commentary on the Epistle to the Galatians (London: Black, 1993) 336–7; P. Oakes, Galatians (Paideia; Grand Rapids: Baker Academic, 2015) 187. „Verfolgungen“ des Paulus durch andere Juden erwähnt 1 Thess 2.15. – Für Nachstellungen von jüdischer Seite argumentiert z. B. auch C. S. Keener, Galatians: A Commentary (Grand Rapids: Baker Academic, 2019) 565–7.

10 Witulski, T., Die Adressaten des Galaterbriefs: Untersuchungen zur Gemeinde von Antiochia ad Pisidiam (FRLANT 193; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000) 7181CrossRefGoogle Scholar, 218–21.

11 Witulski, Adressaten, 176–221, verbindet diese Überlegungen mit der Frage nach der Lokalisierung der Briefadressaten und votiert dabei für die sogenannte südgalatische Hypothese; sein Kriterium: In der Stadt Antiochia in Pisidien sei um 50 n. Chr. eine neue Intensität des Kaiserkults zu verzeichnen.

12 Dagegen z. B. Hardin, Galatians, 130–1.

13 Hardin, Galatians, 123–4 (der sich auf Witulski, Adressaten, 158–67 bezieht). Vgl. C. Harker, The Colonizers’ Idols: Paul, Galatia, and Empire in New Testament Studies (WUNT ii/460; Tübingen: Mohr Siebeck, 2018) 10–11, 207; T. W. Martin, „Pagan and Judeo-Christian Time-Keeping Schemes in Gal 4.10 and Col 2.16“, NTS 42 (1996) 105–19.

14 Hardin, Galatians, 144.

15 Hardin, Galatians, 146, 150.

16 Gegen Winter, Witulski, Hardin u. a. zeigt F. John, Der Galaterbrief im Kontext historischer Lebenswelten im antiken Kleinasien (FRLANT 264; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2016) 166–77, dass sich die galatische Krise nicht von einer Affinität der Galater zum Kaiserkult her erklären lässt. Vgl. deSilva, Letter, 373–5.

17 Sänger, „Konfliktlinien“, 114. Vgl. deSilva, Letter, 366–7; Martyn, J. L., Galatians: A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 33A; New York: Doubleday, 1997) 416–17CrossRefGoogle Scholar.

18 Vgl. äthHen 82.7, 9–10; Jub 1.14; 1QM X 15–16. Dazu Sänger, „Konfliktlinien“, 114–16; Schreiber, „Galaterbrief“, 99–100.

19 Zu den antiken Hintergründen Sänger, „Konfliktlinien“, 116–19; Schreiber, „Galaterbrief“, 151. Auch J. Woyke, Götter, ‚Götzen‘, Götterbilder: Aspekte einer paulinischen ‚Theologie der Religionen‘ (BZNW 132; Berlin/New York: de Gruyter, 2005) 346–59; C. Zimmermann, Gott und seine Söhne: Das Gottesbild des Galaterbriefs (WMANT 135; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2013) 97–9; Oakes, Galatians, 135; Keener, Galatians, 325–33; P. von der Osten-Sacken, Der Brief an die Gemeinden in Galatien (ThKNT 9; Stuttgart: Kohlhammer, 2019) 185–7. DeSilva, Letter, 347–53 bestimmt die „Elemente“ als die sozialen Ordnungsprinzipien.

20 Man wird dies nicht als Generalkritik verallgemeinern dürfen, wie dies P. Pilhofer, Das Neue Testament und seine Welt: Eine Einführung (UTB 3363; Tübingen: Mohr Siebeck, 2010) 293 tut: „Eine schärfere Kritik am Gesetz, am Judentum findet sich an keiner Stelle in unserem Brief – von anderen Texten des Paulus ganz zu schweigen“; vgl. auch von der Osten-Sacken, Brief, 204. Vielmehr gibt Paulus hier eine rhetorisch zugespitzte neue Deutung jüdischer Identitätsmerkmale und bewegt sich so im Bereich der Anwendung der Tora. Er will den Galatern drastisch zeigen, dass sie sich erneut in eine Form der Sklaverei begeben, wenn sie diese Identitätsmerkmale übernehmen. Vgl. M. C. de Boer, Galatians: A Commentary (The New Testament Library; Louisville, KY: Westminster John Knox, 2011) 276; Oakes, Galatians, 140–1; schon F. Mußner, Der Galaterbrief (HThK ix; Freiburg im Breisgau: Herder, 1974, 19885) 298–303.

21 In dieser Aussage spiegelt sich jüdische Götterpolemik; vgl. Weish 13.1–14.31; Röm 1.19–23; die „sogenannten Götter“ in 1 Kor 8.5. Dazu J. M. G. Barclay, „Paul, Roman Religion and the Emperor: Mapping the Point of Conflict“, Pauline Churches and Diaspora Jews (WUNT 275; Tübingen: Mohr Siebeck, 2011) 345–62, hier 356–7. Vor „Idolatrie“ warnt Gal 5.20 (vgl. 1 Kor 5.11; 6.9).

22 Harker, Idols, 49–83.

23 Harker, Idols, 85–107.

24 Harker, Idols, 111–96; Zitat 149.

25 Harker, Idols, 5.

26 Harker, Idols, 36, 38; Zitat 36.

27 Harker, Idols, 197–212.

28 Harker, Idols, 198–9.

29 Harker, Idols, 199.

30 Vgl. M. Lattke, „Conflict and Peace in Paul's Letter to the Galatians“, AJBI 30/1 (2004/5) 155–80, hier 178: „Paul's letter to the Galatians shows how in the so-called real world violent conflict … can be – and should be – overcome by peaceful conflict, regardless of the firm and polemical (if necessary) defence of one's point of view“.

31 Kahl, „Galaterlektüre“; monographisch entfaltet in Kahl, Galatians.

32 Der Ordnung stehen Blasphemie, Chaos und Gesetzlosigkeit gegenüber. Diese Dichotomie sieht sie im Hauptfries des großen Altars von Pergamon verkörpert, der den Kampf zwischen Göttern und Giganten darstellt – und das bedeutet: zwischen Zivilisation und Barbarei. Kahl, „Galaterlektüre“, 7–9, 16.

33 Kahl, „Galaterlektüre“, 11–13; Zitat 13; auch Kahl, Galatians, 7. Sie spricht von der „gesetzlich fundierten allgemeinen Ordnung“ und dem „universale(n) Gesetz“ („Galaterlektüre“, 13; kursiv im Original).

34 Kahl, „Galaterlektüre“, 16.

35 Kahl, „Galaterlektüre“, 16. Sie stützt ihre Position durch den Verweis auf Gal 4.8–10, wo Paulus die Galater beschuldigt, „zurück zu den ‚Nicht-Göttern‘ zu gehen“ (16).

36 Kahl, Galatians, 252. Es ist allerdings eher wahrscheinlich, dass die „Falschbrüder“ in einen innerjüdischen Kontext gehören und „Judenchristen“ sind. Es handelt sich nicht um Denunzianten bei den Stadtbehörden; vgl. Robinson, L., „Hidden Transcripts? The Supposedly Self-Censoring Paul and Rome as Surveillance State in Modern Pauline Scholarship“, NTS 67 (2021) 5572CrossRefGoogle Scholar, hier 69–70.

37 Kahl, „Galaterlektüre“, 23.

38 Kahl, „Galaterlektüre“, 24.

39 Kahl, „Galaterlektüre“, 25. Vgl. Kahl, Galatians, 280: Paulus „accuses Peter, Barnabas, and the Antiochene Jews not of a Jewish apostasy but of an idolatrous apostasy toward a non-Jewish imperial way of life that he calls ethnikōs“ (kursiv im Original); vgl. 283–4.

40 Dazu de Boer, Galatians, 30–35; S. Schreiber, „Gottesherrschaft“, Neues Testament: Zentrale Themen (hg. L. Bormann; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2014) 27–48, hier 30–1. – Zur Vorstellung des „bösen Äons“ vgl. frühjüdisch CD xv 7; 1QpHab v 7–8; äthHen 48.7; 4 Esr 4.26–7; 7.12.

41 Zur römischen Vorstellung des Goldenen Zeitalters und ihren Repräsentationen vgl. S. Schreiber, Weihnachtspolitik: Lukas 1–2 und das Goldene Zeitalter (NTOA 82; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009) 25–62 (Quellen 105–59). – Von einer anderen Eschatologie der ersten Christen spricht Oakes, Galatians, 41.

42 Text und Übersetzung des Kalenderdossiers (unter Einschluss der Neufunde von Metropolis) bei Schreiber, Weihnachtspolitik, 122–7.

43 „Herr der Welt“ zu sein, gibt Suet. Aug. 94.5 als Vorhersage über Augustus wieder. Zur Weltherrschaft Roms vgl. Verg. Ecl. 4.9–10, 14, 17, 50–2; Aen. 6.794–805; Vell. Hist. 2.89.6, 2.126.3; Hor. Carm. saec. 9–10, 53–6; Carm. 4.15.14–16; Calp. Ecl. 4.8, 84, 107, 144–5. Weitere Belege bei Schreiber, Weihnachtspolitik, 59 Anm. 119.

44 Calp. Ecl. 4.142–5 (Übersetzung D. Korzeniewski). Weitere Belege bei Schreiber, Weihnachtspolitik, 60 Anm. 120. Auch Sen. Clem. 1.1.7–8 (über die Herrschaft des jungen Nero): „Dennoch fühlen sich nun alle deine Bürger zu zwei Geständnissen gedrungen: Sie seien glücklich, und nichts mehr könne zu diesen Gütern hinzukommen, als daß sie von Dauer sind. Vieles nötigt sie zu diesem Eingeständnis …: tiefe, überreichliche Sicherheit, Recht, über alles Unrecht gesetzt, vor den Augen eine höchst erfreuliche Organisation des Staates, dem zur höchsten Freiheit allenfalls die Möglichkeit fehlt, zugrunde zu gehen“. Übersetzung: L. Annaeus Seneca: Philosophische Schriften. Lateinisch und deutsch, Band v: De Clementia. De Beneficiis/Über die Milde. Über die Wohltaten (hg. M. Rosenbach; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1999) 9.

45 J. M. G. Barclay, „Why the Roman Empire Was Insignificant to Paul“, Pauline Churches and Diaspora Jews (WUNT 275; Tübingen: Mohr Siebeck, 2011) 363–87. Er setzt sich darin v. a. mit Arbeiten von N. T. Wright auseinander.

46 Barclay, „Paul“, 345–62.

47 Barclay, „Empire“, 386. Vgl. Keener, Galatians, 353–4 zu Gal 4.8: Im Blick sei die Vielzahl paganer Götter, nur am Rande der Kaiserkult.

48 Barclay, „Empire“, 387.

49 Barclay, „Empire“, 386–7. Ähnlich deutet M. J. Thate, „Paul and the Anxieties of (Imperial?) Succession: Galatians and the Politics of Neglect“, ‚In Christ‘ in Paul: Explorations in Paul's Theology of Union and Participation (WUNT ii/384; hg. M. J. Thate/K. J. Vanhoozer/C. R. Campbell; Tübingen: Mohr Siebeck, 2014) 209–50 Ähnlichkeiten zwischen den Vorstellungen von Vaterschaft, Erbe und Adoption im Galaterbrief und in der römischen Kaiserinszenierung (der Kaiser als pater patriae) nicht als Bezugnahmen des Paulus, sondern als bewusste Vernachlässigung: Paulus „neglected to attend to empire's ideologies …“ (237). „The conflict is therefore not between Christ and Caesar, but in conflicting constructions of reality“ (240). „This is Paul's radical politics; his politics of neglect“ (241; kursiv im Original). – Thates Vergleich ist an sich schwierig, da Vater- und Erbschaftsvorstellungen nicht spezifisch für den Sprachgebrauch der Kaiserideologie sind, sondern allgemein in der sozialen Rolle des antiken pater familias und des Erbschaftsrechts gründen. Und der Konflikt um verschiedene Weltbilder impliziert – angesichts der politischen Realität der Zeit – gerade den Konflikt zwischen Christus und Caesar.

50 Das weiß auch Barclay, „Paul“, 354–5, wenn er herausstellt, dass der römische Princeps als Teil der Götterwelt die Ordnung des Kosmos und der Welt garantieren kann; der Kaiserkult zeigt an, „that the Roman imperial order was the guarantor and mediator of the favour of the gods, and that Roman emperors, with their unique and superhuman capacities, were endowed with divine powers to benefit human society“.

51 Hardin, Galatians, 57–81, dabei 66–7 zum provinzialen Kaiserkult in Ankyra und anderen Städten und zu Spielen; 68–71 Hinweise auf den Kaiserkult in Ankyra (Sitz des koinon, Tempel des Augustus und der Roma, zweisprachige Res Gestae-Inschrift, Inschrift mit Priestern des provinzialen Kaiserkults z. Z. des Tiberius, Kaiserfeste: Opferfeiern, Spiele, Prozessionen) und Pessinus (Kaisertempel). – John, Galaterbrief, 69–106 zeigt, dass die Eingriffe der römischen Verwaltung in Südgalatien (Beispiel Antiochia in Pisidien) weitreichender waren als im traditionellen Siedlungsgebiet der keltischen Stämme; zum Kaisertempel in Ankyra und zum Kaiserkult im Norden 99–104 (vertritt bei der Lokalisierung der Adressaten des Galaterbriefs die südgalatische Hypothese: 133–59). – Zum Kaisertempel in Ankyra auch Harker, Idols, 91–3. – Zur Präsenz des Kaiserkults ferner deSilva, Letter, 368–72; er nimmt in einigen Begriffen wie „böser Äon“ oder „Evangelium“ durchaus politische Untertöne wahr (120, 126, 372).

52 Zu einer neuen Kosmologie des Paulus vgl. Thate, „Paul“, 239–40: „In this new cosmology, the contrasting elements are καινὴ κτίσις (6:15) and αἰῶνος τοῦ ἐνɛστῶτος πονηροῦ (1:4), and are played out ‘on an apocalyptic stage newly configured by the Christ-event’.“ Zur neuen Wirklichkeitsdeutung auch John, Galaterbrief, 200–1.

53 Inschrift von Priene 40–1 und IGR iv.317 (Augustus); Jos. Bell. 4.618, 655–6 (Vespasian, im Kontext des Endes des Bürgerkriegs). Zur politischen Füllung des Begriffs M. Ebner, „‚Evangelium‘“, Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6; hg. M. Ebner/S. Schreiber; Stuttgart: Kohlhammer, 20203) 118–29. – Kritisch gegenüber einem Bezug zur Kaiserideologie Keener, Galatians, 60.

54 Zum weiteren jüdischen und paganen Hintergrund der Vorstellung eines Sohnes Gottes S. Schreiber, Die Anfänge der Christologie: Deutungen Jesu im Neuen Testament (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2015) 68–70. Vgl. Verg. Aen. 6.792–3: „Caesar Augustus, des Göttlichen Sohn; Goldene Zeiten wird er bringen“ (Augustus Caesar, Divi genus, aurea condet saecula).

55 Die Formulierung erinnert an die Taufaussagen in Röm 6.3–8. Damit wird Anteil am Kreuzestod Christi vermittelt.

56 Vgl. S. Schreiber, „Friede trotz Pax Romana: Politische und sozialgeschichtliche Überlegungen zum Markusevangelium“, Inquire Pacem: Beiträge zu einer Theologie des Friedens (hg. F. Sedlmeier/T. Hausmanninger; FS V. J. Dammertz; Augsburg: Sankt Ulrich, 2004) 85–104, hier 99–101. – Zum Kreuz im Galaterbrief auch M. F. Lowe, „‚This Is Not an Ordinary Death‘: Empire and Atonement in the Minor Pauline Epistles“, Empire in the New Testament (hg. S. E. Porter/C. L. Westfall; Eugene, OR: Pickwick, 2011) 197–229, besonders 201.

57 CPJ i.153 (P.Lond. 1912). Deutsch in Texte zur Umwelt des Neuen Testaments (UTB 1591; hg. C. K. Barrett/C.-J. Thornton; Tübingen: Mohr Siebeck, 19912) 52.

58 Nach deSilva, Letter, 509 kehrt das Kreuz die Werte der Welt um. – Das „Skandalon des Kreuzes“ in Gal 5.11 bezieht sich hingegen – wie das „Kreuz“ in 6.12 (s. 1.1) – spezifischer auf den jüdischen Konflikt, den der Galaterbrief austrägt. Für 6.14 bedeutet es allerdings eine Engführung, wenn nach de Boer, Galatians, 401–2 die „Welt“ lediglich auf das Judentum referiert. Im Blick ist ein neues Verhältnis zur gesamten Welt. Zu Recht bemerkt von der Osten-Sacken, Brief, 311 „eine abgrundtiefe Trennung von Apostel und Welt“.

59 Zum jüdischen Hintergrund der „neuen Schöpfung“ vgl. Jub 4.26; äthHen 72.1; 1QS iv 25; 11Q19 xxix 9; 4 Esr 7.75. Von der Osten-Sacken, Brief, 313 betont, dass sich bei Paulus von der Neuschöpfung noch nicht im Sinne kosmischer Vollendung, sondern „allein im anthropologischen Sinn reden“ lässt.

60 Verg. Ecl. 4.18–22, 28–30, 40–5 (39: omnis feret omnia tellus, „jeder Erdboden wird alles hervorbringen“). Zu diesem Topos mit Quellenangaben Schreiber, Weihnachtspolitik, 61–2.

61 So bei Calp. Ecl. 4.97–100, 108–11. Dazu B. Merfeld, Panegyrik – Paränese – Parodie? Die Einsiedler Gedichte und Herrscherlob in neronischer Zeit (Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium 39; Trier: Wissenschaftlicher Verlag, 1999) 89–90.

62 Darstellungen und Diskussion bei Schreiber, Weihnachtspolitik, 35–42. Vgl. die Gemme der Livia, die ein Füllhorn, über dem auf einer kleinen Weltkugel eine Büste des Augustus ruht, in der Hand hält und betrachtet (Abbildung bei Schreiber, Weihnachtspolitik, 39).

63 Z. B. eine Denar-Serie aus Spanien (ca 17–15 v. Chr.), die Füllhorn, Steinbock, Globus und Steuerruder mit dem Schriftzug AVGVSTVS verbindet. Ein Aureus der Zeit Domitians zeigt, dass die Symbolik des Cornucopia weiter verwendet und in ihrer politischen Bedeutung verstanden wurde. Abbildungen bei Schreiber, Weihnachtspolitik, 40–1 (Abb. 5 und 6).

64 Dazu M. Peppard, The Son of God in the Roman World: Divine Sonship in its Social and Political Context (Oxford: Oxford University Press, 2011) 31–85; E. M. Heim, Adoption in Galatians and Romans: Contemporary Metaphor Theories and the Pauline Huiothesia Metaphors (BiInS 153; Leiden: Brill, 2017) 112–99. Vgl. Röm 8.15, 23; 9.4; Eph 1.5. Dazu de Boer, Galatians, 264. Zur unterschiedlichen griechischen bzw. römischen Rechtslage der Adoption Keener, Galatians, 340–5. – Die υἱοθɛσία (Adoption) Oktavians durch Iulius Caesar nennt z. B. Nikolaos von Damaskus, Leben des Kaisers Augustus xviii 55.

65 Zu Erb- bzw. Nachfolgestreitigkeiten am Ende der Regierungszeit des Claudius und der Adoption Neros durch Claudius vgl. Thate, „Paul“, 217–29.

66 Wenn die Israeliten im AT Söhne und Töchter Gottes genannt werden, ist ihre enge Zugehörigkeit zu ihrem Gott ausgedrückt (Ex 4.22–3; Dtn 14.1; 32.19; Jes 1.2; 43.6; Jer 3.19, 22; Hos 2.1; 11.1; vgl. Jub 1.25; PsSal 17.27). Dies gilt nun für alle, die zu Christus gehören.

67 Im Briefkontext entspricht der „Erbe“ der Verheißung an Abraham (vgl. Gal 3.29), und dieser neue Status der Christen zielt auf die neue Möglichkeit und Vollmacht zur Auslegung der Tora von Christus her, wobei jüdische Identitätsmerkmale hinfällig werden.

68 Vgl. auch Oakes, Galatians, 138.

69 Vgl. F. Sieffert, Der Brief an die Galater (KEK 7; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 18999) 288. Zur Diskussion Oakes, Galatians, 157; von der Osten-Sacken, Brief, 227. Nach L. Ossa, Das obere Jerusalem ist eine Freie: Demokratie und Urbanität im Galater-Brief (EHS xxiii/783; Frankfurt am Main: Lang, 2004) 96–8 stehe das „jetzige Jerusalem“ u. a. für die Versklavung durch das hierarchische Gemeindemodell eines Petrus und Jakobus, während das „obere Jerusalem“ auf eine wirkliche neue Stadt verweise (27) und durch jede kleine Christus-Gemeinde vertreten werde (28).

70 Dazu Schreiber, „Galaterbrief“, 159, 161.

71 „Im Christus Jesus“ verstehe ich wie die meisten Kommentare als attributive Bestimmung zu „Kinder Gottes“; vgl. nur von der Osten-Sacken, Brief, 172–3.

72 Dazu B. Heininger, „Der Apostel und seine Gemeinden: Variationen von Kirche bei Paulus“, Ius canonicum in communione christifidelium (KStKR 23; hg. M. Graulich/T. Meckel/M. Pulte; FS H. Hallermann; Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2016) 337–64, hier 360–2. Auch M. Wolter, Paulus: Ein Grundriss seiner Theologie (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2011) 136–8, 263–5; Neutel, K. B., A Cosmopolitan Ideal: Paul's Declaration ‘Neither Jew Nor Greek, Neither Slave Nor Free, Nor Male and Female’ in the Context of First-Century Thought (LNTS 513; London: Bloomsbury, 2015)Google Scholar; John, Galaterbrief, 202–3; von der Osten-Sacken, Brief, 176–9.

73 Ossa, Jerusalem, will zeigen, wie die christlichen „Volksversammlungen“ (ἐκκλησίαι) – orientiert am demokratischen Polis-Modell des klassischen Athen – in ihrer demokratischen Verfassung (Gal 3.28: 143–6) ein Gegenprogramm zur römischen Urbanisierung mit ihrer von Eliten geleiteten Verfasstheit (42–57) bildeten (7–9, 35, 60, 75–9, 82–3). Gal 5.1–15 bringe mit dem Gedanken der Freiheit den demokratischen Charakter der freien Stadt ins Spiel (29–33). Diese bilde einen „gesellschaftlichen Gegenentwurf zur hierarchischen Ordnung des Prinzipats“ (9). Ossas begriffliche Verbindungen zwischen Galaterbrief und politischer Sprache Roms bleiben aber zu allgemein, um aussagekräftig zu sein; die Arbeit ist von unhaltbaren Annahmen wie der jüdisch-gnostischen Prägung der Gegner (und des Paulus) belastet; anachronistisch ist Ossas Suche nach einer „basisorientierten Demokratie“ (59).