Erinnerungen an das Brecht-Theater
from Brecht-Images: Artist’s Introduction
Published online by Cambridge University Press: 11 March 2017
Summary
Seit 1953 besuchten wir Kunststudenten aus Dresden häufig Berlin: Ziel waren immer die Kunstmuseen und abends das Brecht-Theater BE. Die durchgefeilten, so lange geprobten Aufführungen gaben uns einen ganz neuen Eindruck von Theater—keine Illusionen, Denken und Empfinden gehörten zusammen. Die großen Eindrücke, außer der Mutter Courage, waren Pauken und Trompeten von George Farquhar in der Bearbeitung von Brecht, Regie Besson; das Stück Die Mutter; Der Hofmeister (Lenz); Der gute Mensch von Sezuan; Die Dreigroschenoper (der Bandit wird zum Bürger, eine scharfe Anklage, die bis heute an Bedeutung nichts verloren hat!); Dickicht der Städte; Herr Puntila und sein Knecht Matti; Galileo Galilei.
Später dann Arturo Ui—ein Gangsterspektakel. Aus der frühen Zeit sind die großen Schauspieler zu nennen: die Weigel, Regine Lutz, Therese Giehse, Ernst Busch, Wolf Kaiser und andere. Zu nennen ist auch die begabte Regieschülerschaft, Manfred Wekwerth, Peter Palitzsch, Egon Monk— Benno Besson, ein Schweizer von größter Eigenart.
Berlin war ja trotz der vier Sektoren und der immensen Zerstörungen noch eine offene Stadt, in der man sich kulturell vollsaugen konnte. Museen, später die Ausstellungen in der neuerbauten Akademie der Künste am Hanseatenweg, in der Maison de France. Die Galerie Gerd Rosen war eine Legende, das Kino am Steinplatz, die Städtische Oper und die Komische Oper unter Felsenstein, und eben das BE.
Da wir von Dresden aus die Spielpläne nicht kannten, sah ich die Courage sechsmal, andere Aufführungen auch mehr als einmal. Wir Studenten hatten immer die billigsten Plätze für fünfzig Pfennige, nahe den Scheinwerfern, oft fehlte die Sicht auf ein Viertel der Bühne. Interessant war im BE das vielfach internationale Publikum. Das doch kleine Theater am Schiffbauerdamm mit seinen Vergoldungen, dem Stuck, und dem vielen Plüsch stand im absoluten Gegensatz zur Brecht-Gardine und zur Nüchternheit der Szenen. Allein dieser Kontrast war eine geniale Idee. Der von Brecht intendierte V-Effekt wandte sich gegen Naturalismus und Einfühlung. Der Schauspieler soll zeigen, dass er zeigt. Es gab aber hier, von der Seite der Einheitspartei, immer wieder Sentimentaleinwände.
Indem ich diese Zeilen schreibe, merke ich, dass die tatsächlichen Eindrücke jener Zeit kaum zu übermitteln sind. Aber die Erinnerungen sind fest im Kopf.
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- The Brecht Yearbook / Das Brecht-Jahrbuch 40 , pp. 25 - 27Publisher: Boydell & BrewerPrint publication year: 2016