Book contents
- Frontmatter
- Contents
- Introduction
- Literarische Anthropologie und Groteske. Johann Karl Wezels Tobias Knaut und die Anfänge einer literarischen Darstellung von „Behinderung“ um 1800
- Misreading the Body: E. T. A. Hoffmann’s Klein Zaches, genannt Zinnober
- Exzentrische Empfindung. Raoul Hausmann und die Prothetik der Zwischenkriegszeit
- Bridging the Silence: Towards a Literary Memory of Nazi Euthanasia
- “Die gräßliche Blume des Grinds”: Disfigurement, Disablement, and Discrimination in Soma Morgenstern’s Jewish Trilogy Funken im Abgrund
- Schöne blinde Geigerinnen und mürrische blinde Bauern
- „Wenn Sie bereit sind, in mir einen Menschen zu sehen“. Behinderung und die Macht des Blickes in Günter Grass’ Die Blechtrommel
- „Der hinkende Vogel verfremdet den Flug“ — Heiner Müllers „Philoktet“ im Kontext der Disability Studies
- From Impairment to Empowerment: A Re-Assessment of Libuše Moníková’s Representation of Disability in Pavane für eine verstorbene Infantin
- Thalidomide as Spectacle and Capital
Literarische Anthropologie und Groteske. Johann Karl Wezels Tobias Knaut und die Anfänge einer literarischen Darstellung von „Behinderung“ um 1800
Published online by Cambridge University Press: 02 March 2023
- Frontmatter
- Contents
- Introduction
- Literarische Anthropologie und Groteske. Johann Karl Wezels Tobias Knaut und die Anfänge einer literarischen Darstellung von „Behinderung“ um 1800
- Misreading the Body: E. T. A. Hoffmann’s Klein Zaches, genannt Zinnober
- Exzentrische Empfindung. Raoul Hausmann und die Prothetik der Zwischenkriegszeit
- Bridging the Silence: Towards a Literary Memory of Nazi Euthanasia
- “Die gräßliche Blume des Grinds”: Disfigurement, Disablement, and Discrimination in Soma Morgenstern’s Jewish Trilogy Funken im Abgrund
- Schöne blinde Geigerinnen und mürrische blinde Bauern
- „Wenn Sie bereit sind, in mir einen Menschen zu sehen“. Behinderung und die Macht des Blickes in Günter Grass’ Die Blechtrommel
- „Der hinkende Vogel verfremdet den Flug“ — Heiner Müllers „Philoktet“ im Kontext der Disability Studies
- From Impairment to Empowerment: A Re-Assessment of Libuše Moníková’s Representation of Disability in Pavane für eine verstorbene Infantin
- Thalidomide as Spectacle and Capital
Summary
ZWISCHEN 1773 UND 1776 erscheint im Leipziger Verlag von Siegfried Lebrecht Crusius Johann Karl Wezels Lebensgeschichte Tobias Knauts, des Weisen, sonst der Stammler genannt. Schon aufgrund seines Sujets gilt dieser Roman als Dokument literarischer Radikalität: Wezel lässt seinen Protagonisten aus einer der untersten Schichten des dritten Standes kommen, überdies handelt es sich bei der Titelfigur um einen nicht nur „armen” und „dummen”, sondern auch „ungestalten Dorfjungen”. Mit Tobias Knaut taucht zum ersten Mal eine Hauptfigur in der deutschen Literaturgeschichte auf, die — in Kategorien des 20. Jahrhunderts — als „behindert” gelten würde: Der Sohn eines armen Dorfschullehrers kommt bereits „fehlgebildet” zur Welt, der erwachsene Tobias fällt durch seine Kleinwüchsigkeit, seinen Buckel sowie zahlreiche erworbene körperliche Entstellungen auf. Zu diesen Körperbehinderungen kommt seine schon im Romantitel aufscheinende „Sprachbehinderung“: das „Stammeln”, das in Verbindung mit Tobias’ „Dummheit” auch auf eine „geistige” bzw. „kognitive” Behinderung deutet. Im Diskurs des 18. Jahrhunderts entspricht Tobias mit seinen zahlreichen Deformationen einer „Monstrosität” (TK: III, 245). Von der literaturwissenschaftlichen Forschung sind diese „Deformationen” Tobias meist symbolisch als Sinnbild einer deformierten Gesellschaft gedeutet worden. Die körperliche Gestalt des Protagonisten wird in die Tradition der grotesken Ästhetik eingeordnet und in Bezug zur satirischen Intention des Romans gesetzt. Bislang übersehen wurde dabei, wie genau Wezel seine Figur im Hinblick auf den zeitgenössischen Wissensdiskurs über „Monstrositäten” konstruiert und welche Bedeutung dieser Diskurs für die anthropologische Reflexion des Romans hat.
Wie im Folgenden gezeigt werden soll, bedient sich Wezel in seinem Roman des zeitgenössischen Monstren-Diskurses und überführt diesen in ein anthropologisches Entwicklungsmodell, das Behinderung — einem Verständnis des 20. Jahrhunderts entsprechend — als Effekt psycho-physischer Wechselwirkungen innerhalb eines Sozialisationsprozesses beschreibt.
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- Information
- Edinburgh German Yearbook 4Disability in German Literature, Film, and Theater, pp. 15 - 38Publisher: Boydell & BrewerPrint publication year: 2010