Das Gesetzesverständnis des Paulus ist in letzter Zeit wieder in den Brennpunkt der Diskussion getreten. Dabei scheint mir über dem systematischen Interesse an der inneren Einheit der untereinander so spannungsreichen Aussagen die einfache historische Frage, ob Paulus denn wirklich in all seinen Briefen eine durchweg einheitliche Konzeption zeige, immer noch zu wenig Gewicht zu erhalten. Zwar verlockt der integrale Charakter des Römerbriefs dazu, die hier zweifellos vorhandene, im Zusammenhang vorgetragene Konzeption als Rahmen zu benutzen, in den sich die Aussagen der übrigen Briefe einordnen lassen. Aber auf diesem Wege liegt zugleich die Gefahr nah, daß, die Aussagen der übrigen Briefe zu wenig in ihrem je eigenen Skopos zur Geltung kommen, weil sie dem des Römerbriefs zu- und eingeordnet werden und so ihre Eigenart, ja u.U. auch manche Gegensätzlichkeit verlieren. Der umgekehrten Betrachtungsweise kommt jedenfalls zunächst der methodische Primat zu: die Briefe des Paulus in chronologischer Reihenfolge durchzumustern, so daß die Aussagen des Römerbriefs erst am Schluß ihren Ort bekommen. Damit öffnet sich zumindest die Möglichkeit einer Entwicklung im Denken des Paulus. Die folgende Skizze soll ein Beitrag dazu sein.