Es Gehörte von je zu den Lieblingsthemen der deutschen Ästhetik, die verschiedenen Dichtungsgattungen miteinander zu vergleichen und gegeneinander abzugrenzen. Dabei wurde die Lyrik gewöhnlich als rein subjektive Kunstform gegenüber der gemischten Epik und der gänzlich objektiven Dramatik bezeichnet. Die Begriffe der Subjektivität und Objektivität erschienen als die geeignetste Grundlage für den Aufbau der vergleichenden Gattungspoetik. Dabei ist gleich hier zu fragen, in welchem Sinne sie in diesem Zusammenhang zu verstehen sind, um von vornherein Mißverständnissen vorzubeugen. Denn jede starke Dichtung, so kann eingewendet werden, ist, gleichgültig, welcher Gattung sie angehören mag, gewissermaßen immer subjektiv, erfüllt von dem individuellen künstlerischen Temperament des Schöpfers, das sich selbst in dem naturalistischsten Werk, sofern es wirklich Kunstwerk ist, kundgibt und daher sogar in Zolas Definition des Kunstwerks: “Une œuvre d'art est un coin de la nature vu à travers un tempérament” seinen gebührenden Platz erhält. Diese künstlerische Subjektivität ist allen Gattungen immanent, kann also in der Gattungspoetik nicht gemeint sein. Diese hat vielmehr bei der vergleichenden Betrachtung die rein menschliche Subjektivität im Auge, das Mehr oder Weniger an persönlichem Erlebnisgehalt. Von diesem Standpunkt gesehen erscheint die künstlerische Subjektivität, d. h. die individuelle Prägung, die Form-, die Gestaltgebung, als das Objektive. Als subjektive Gattung wird daher die betrachtet, welche persönliche Erlebnisse des Dichters umfassend, unmittelbar und ohne starke Umformung zum Ausdruck bringt, als objektive diejenige, in der das individuelle Erleben zurücktritt oder völlig umgeformt wird, da der Dichter sich in erster Linie den Forderungen der Form der Gattung fügen muß. Oder: Eine Gattung ist subjektiv, wenn ihr Wesen und damit ihr künstlerischer Wert vorwiegend auf dem subjektiven Erlebnisgehalt beruht, sie ist dagegen objektiv, wenn die künstlerische Wirkung vor allem von der Form abhängt.